AUGUST
2002

 
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Das Oderbruch: Neuhardenberg

Südfront der Kirche mit
Erbbegräbnis der Fürstenfamilie

Nachdem im Juli-Ceryx das kriegsbedingte Fehlen markanter historischer Bauten sowie einer tiefen geistig-kulturelle Verwurzelung im Oderbruch am Beispiel Golzows ausgeführt wurde, soll dies im letzten Beitrag dieser Reihe anhand des Ortes Neuhardenberg etwas kontrapunktiert werden.

Bereits am Rande des Oderbruchs gelegen, gab es hier kaum Kriegszerstörungen. So hat sich das dörfliche Erscheinungsbild, das durch den Schinkelschen Wiederaufbau nach 1801 geprägt ist, fast vollständig erhalten. Für das Oderbruch stellt diese Situation etwas besonderes dar. Denn wie bereits geschildert, konnte sich kein anderer Ort seine historische Bausubstanz unzerstört bewahren. Vielleicht mag ja hier in Neuhardenberg die Anwesenheit der Reliquie des Herzens vom Staatskanzler eine schützende Aura um das Dorf gelegt haben...

Erstmals urkundlich erwähnt ist der am Quappendorfer Oderarm in einer sandigen und moorigen Gegend im 13. Jahrhundert angelegte Ort zum Jahre 1348 als Zollstation. Ursprünglich Quilitz genannt, erhielt es mit der Trockenlegung des Oderbruchs - wie alle dortigen, in das Mittelalter zurückreichende Dörfer - die Vorsilbe "Alt". Bis in die Neuzeit ist ein vielfältiger Wechsel der Besitzverhältnisse belegt. 1763 schenkte Friedrich der Große das Gut seinem Oberstleutnant Joachim Bernhard von Prittwitz, der ihn in der Schlacht von Cunersdorf am 12. August 1759 vor drohender Gefangennahme bewahrt hatte. Noch im selben Jahr wurde mit der Errichtung eines neuen, prunkvollen Herrenhauses begonnen. Es entstand eine recht malerische Dreiflügelanlage mit rechteckigem Hauptbau und symmetrisch ansetzenden nahezu quadratischen Flügelbauten. Dieser ursprünglich eingeschossige Bau hatte ein Mansarddach und in der Mitte der Hoffront einen zweigeschossigen, bis zum Mansardknick reichenden Risalit. Pläne zur Aufstockung ließ Prittwitz schnell wieder fallen, nachdem ihn der König während einer Inspektionsreise durch das Oderbruch mit dem Ausspruch gewarnt hatte: „Prittwitz, Er baut ja ein Schloß. Er will wohl hoch hinaus!“

Im Jahre 1801 hatte ein verheerender Brand den größten Teil von Alt-Quilitz vernichtet. Fast alleinig das damals noch von einem breiten Graben umflossene Gutshaus blieb unversehrt. So erhielt der damals erst zwanzigjährige Architekt Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) den Auftrag, das Dorf nach einheitlichem Plan wiederaufzubauen. Schinkel bewies hier zum erstenmal, daß er ein Künstler war, der in großen Zusammenhängen zu denken verstand. Wie er zur Einheit zusammenfaßte, was seiner Zweckbestimmung und seinem Wesen nach auseinanderstrebte, gehört zu jenen Musterbeispielen in der Geschichte der ländlichen Baukunst, welche sogar dann ihren Wert behalten, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend gewandelt haben. Hier läßt sich heute noch lernen, daß der ästhetische Reiz einer Planung nicht von der Reichhaltigkeit der zur Verfügung stehenden Mittel, sondern in erster Linie von der Beziehung der Teile zum Ganzen abhängen.

Es entstand ein Angerdorf mit annähernd gradlinig verlaufender Hauptachse und einer für märkische Verhältnisse beachtlichen Länge von zwei Kilometern. Die sich beidseitig der Straße entlangziehenden gleichartigen Kleinbauern- und Arbeiterhäuser von Schinkel und zum Teil älteren Doppelstubenhäuser aus Fachwerk in Traufstellung sind bis heute erhalten. Sie säumen die zweiadrige Dorfstraße (die heutige B167) mit Lindenallee und einen weiten, sich von Osten nach Westen erweiternden, dazwischenliegenden Dorfanger mit Löschteich in unmittelbarer Nähe der Kirche. Nach Süden (Sandende) und Norden (Neudorf) zweigen weitere Straßen mit ähnlichen Reihenbebauungen ab. Vom Dorfanger mit der Lindenallee und der Kirche relativ weit nach Süden zurückgesetzt, liegt das heutige Schloß.

Nachdem das Gut zuvor in den Besitz des ältesten Sohnes des Generals von Prittwitz übergegangen war, fiel es im Jahre 1810 an die preußische Krone zurück. Bereits seit 1790 stand der Graf Karl August von Hardenberg (1750-1822) im Dienst des preußischen Staates. Schon 1802 hatte er den Stammsitz seiner Familie aufgegeben, seinen Wohnsitz nach Brandenburg verlegt und dabei aus dem Elternhaus auch fast alle auf seine Person bezogenen Archivalien mitgenommen. Die Zeichen seiner Zeit verstehend, setzte er sich unterstützt durch Königin Luise mit Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein (1757-1831) für umfangreiche Reformen in Preußen ein. Seit 1804 leitete er die Außenpolitik und wurde 1807 zum Staatskanzler ernannt. Für seine Verdienste um den preußischen Staat und den siegreichen Befreiungskrieg gegen Napoléon I. wurde Hardenberg 1814 vom Mann von Königin Luise in den Fürstenstand erhoben. Damit verbunden war die Dotation von Alt-Quilitz und einiger umliegender Güter als eine Standesherrschaft. Entsprechend dem Willen des Königs erhielt der Ort den Namen Neuhardenberg.

Etwa 1814 ließ Hardenberg von Schinkel sein Berliner Stadtpalais ausstatten. Erst auf 1816/17 datiert der Wiederaufbau der ausgebrannten Neuhardenberger Kirche. Sie wurde nach Plänen des Baumeisters unter Verwendung von Resten errichtet. Ein rechteckiger Putzbau mit quadratischem Westturm entstand. Der blockhafte Turmunterbau ist zurückhaltend nüchtern. Im Oktober 1817 wurde die Kirche eingeweiht. Ihr Inneres erinnert an den nicht mehr existierenden Schinkel-Dom in Berlin. Beide Bauten entstanden etwa zur selben Zeit.

Ebenfalls nach Plänen Schinkels wurde dann von 1820 bis 1823 das Prittwitzsche Gutshaus in ein klassizistisches Schloß verwandelt. Der Bauherr verlangte, daß das vorhandene barocke Gebäude nicht abgerissen, sondern lediglich dem modernen Geschmack angepaßt werden sollte. Der Grundriß lag also von vornherein fest. Der Bau wurde um ein Obergeschoß erweitert, die Fassade durch Horizontalbänder streng gegliedert. Unter- und Obergeschoß sind in ihrer Höhe verschieden. Im Untergeschoß wirken die höheren Fenster dadurch schlanker. Im Hauptbau waren die Gesellschaftsräume untergebracht, im östlichen Flügel die Privat- und im westlichen die Wirtschaftsräume. In der Mitte des Hauptbaues befinden sich das Vestibül zur Hofseite und der große Festsaal zur Gartenseite.

Der Park gehört zu den frühen Arbeiten des großen Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné (1789-1866), doch wahrscheinlich hat auch der Schwiegersohn des Staatskanzlers, Fürst Pückler-Muskau, an seiner Gestaltung mitgewirkt. Ein länglicher Teich wurde angelegt, den Lenné mit einer Verengung und einem Brückenübergang gezeichnet hat. Hinter dem Teich steht das von Josef Martini nach einem Entwurf von Meil 1792 noch im Auftag von Prittwitz in carrarischem Marmor ausgeführte Denkmal für Friedrich den Großen. Nach der Umgestaltung von dessen Schlafzimmer in Potsdam-Sanssouci durch Erdmannsdorff 1786 (wo kostbar geschmückte Pfeiler sowie edle Säulen den Sterbeort des Monarchen wie einen Tempel rahmen und Reliefkopien vom Konstantinbogen in Rom den Ruhmes- und Gedächtnischarakter verdeutlichen), gilt das Neuhardenberger Denkmal als das erste dem preußischen König gewidmete.


Große Bibliothek mit Porträt
Carl Hans von Hardenbergs

Rückwärtige Front des Schlosses
mit Park und Denkmal für Friedrich den Großen

Als Karl August von Hardenberg 1822 starb, wurde an der Ostseite der Kirche die durch Pfeiler und dorische Säulen getragene offene Gedächtnishalle als Erbbegräbnis für den Fürsten und seine Familie angefügt. Der letzte im Schloß wohnende Fürst war Carl Hans von Hardenberg (1891-1958). Er kümmerte sich intensiv um die Bewirtschaftung der insgesamt 7000ha Land. 1931 wurde er zum Vorstand des Brandenburgischen Landbundes gewählt. Er und seine Familie beteiligten sich aktiv am Kampf zum Sturz Hitlers. Zwischen 1942 und 1944 trafen sich im Schloß Neuhardenberg zahlreiche Gegner des NS-Regimes. Carl Hans von Hardenberg war beteiligt am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Nachdem dieses mißlungen war, wollte er sich seiner Verhaftung durch die Gestapo entziehen und verübte einen Selbsttötungsversuch. Da er die schwere Verletzung durch zwei Pistolenschüsse überlebte, erfolgte eine Deportation ins KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin. Sein Vermögen wurde von der SS beschlagnahmt. Nach seiner Befreiung im April 1945 arbeitete Hardenberg als Landwirtschaftsfachmann in der Brandenburger Landesregierung in Potsdam. Nach der endgültigen Enteignung im Zusammenhang mit der Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone siedelte Hardenberg 1947 auf den Stammsitz der Familie Nörten-Hardenberg bei Göttingen über.

Im Januar 1948 wurde das Schloß als Zentralschule eingerichtet. 1949 erhielt das Oderbruchdorf den Namen Marxwalde. Als Carl Hans von Hardenberg 1958 starb, konnte sein testamentarischer Wunsch, in Marxwalde beigesetzt zu werden, nicht erfüllt werden. Erst 1978 erfolgte die Übernahme des Schlosses durch die Kulturakademie Frankfurt/Oder. Rekonstruktionen und Restaurierungen begannen. Zehn Jahre später wurde ein Teil als Museum eröffnet. In der ehemaligen Großen Bibliothek - von der wertvollen Hardenbergschen Buchsammlung ist hier nichts mehr erhalten - erinnert ein Porträt auf dem frühklassizistischen Schreibtisch an den Fürsten Carl Hans. 1991 konnte er nun seinem letzten Willen gemäß auf dem Erbbegräbnis hinter der Kirche umgebettet werden, und seit dem selben Jahr heißt das Dorf auch wieder Neuhardenberg.

In der Kirche hatte sich durch die sozialistische Ära hindurch das Hardenbergsche Wappen (es zeigt im Zentrum einen Eberkopf) an der Fürstenempore erhalten können. Zu DDR-Zeiten war es lediglich durch eine Spanplatte mit dem Marxwalder Wappen abgedeckt, die nach der Wende wieder entfernt wurde. Allerdings erwies sich die Ausmalung gemäß kunsthistorischen Untersuchungen nicht als ursprünglich. Nach längerer Restaurierung ist mittlerweile die Schinkelsche Farbfassung wiederhergestellt.

Als skurril mag es heute anmuten, daß sich im Altar der Schinkelkirche noch heute das Herz des Staatskanzlers befindet. Wer hinter den Altar tritt, kann zunächst eine den Verdiensten Karl August von Hardenbergs gewidmete Tafel lesen. Wird diese abgenommen, kommt eine Tür zum Vorschein, bei deren Öffnen - fast wie bei einem Kühlschrank - eine kleine Lampe angeht. In einer mit rotem Samt ausgeschlagenen Nische ist sodann (beinahe wie der Glückstaler von Walt Disneys Dagobert Duck) unter einem Glasstutzen ein Herz ausgestellt. Neuere Untersuchungen an der Berliner Charité haben ergeben, daß es sich tatsächlich um ein Menschenherz handelt. Und es gibt kaum einen Zweifel, daß es sich um dasjenige des Staatskanzlers handelt. Daß Herzen berühmter Persönlichkeiten gesondert von ihren sterblichen Überresten aufbewahrt werden, ist nicht selten. So befindet sich auch das Herz König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen bei seinen Eltern im Charlottenburger Mausoleum oder das Herz Ludwigs II. von Bayern in der Wallfahrtskirche zu Altötting.


Karl August von Hardenberg (1750-1822)...

...und sein Herz

Die Erzählung, daß sowjetische Soldaten nach der Einnahme des Dorfes mit dem Herz des Staatskanzlers Fußball gespielt haben sollen, gehört sicherlich in den Bereich der Phantasie. Zum einen wäre es dann wohl nicht so gut erhalten. Zum anderen ist es fraglich, daß einfache Soldaten den Wortlaut der Widmungstafel verstanden oder vermutet hätten, daß sich dahinter eine Reliquie befände.

Abschließend eine Anekdote, die zeigt, daß das preußische Junkertum auch im 21. Jahrhundert noch nicht ganz seines Einflusses verlustig gegangen ist. Als die Pfarrstelle von Neuhardenberg aus finanziellen Gründen nicht wieder neu besetzt werden sollte, halfen verschiedene Proteste zunächst nichts. Erst als die Fürstin von Hardenberg davon Wind bekommen hatte, und ein informelles Gespräch mit dem Bischof führte, war das Unmögliche auf einmal möglich...

Zuletzt noch ein kleiner Hinweis auf: www.schlossneuhardenberg.de