JULI
2002

 
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Das Oderbruch: Das Dorf Golzow

Das Kulturhaus der LPG von Golzow

Der letzte Beitrag zu diesem Thema handelte von den Folgen der Kampfhandlungen zur Einnahme Berlins im Frühjahr 1945, wodurch es allerorts an markanter historischer Bausubstanz, die Identität stiften könnte, fehlt. Dies wirkt sich um so nachteiliger aus, als daß eine tiefe geistig-kulturelle Verwurzelung im Oderbruch auf Grund seiner besonderen Geschichte sowieso fehlt. Im folgenden sollen diese Beobachtungen am Beispiel Golzows noch etwas ausgeführt werden.

Das Dorf wurde erstmals 1308 als Golsow urkundlich erwähnt. Es wird durch einen großen kreisrunden Platz aus der Zeit der friederizianischen Erweiterung gegliedert, in dessen Mitte einst die Kirche stand. Sie war ein markanter Bau der Schinkelschule. Während der Schlacht um das Oderbruch wurde sie durch deutsche Truppen gesprengt, da auch hier ihr Turm der anrückenden Sowjetarmee in der weiten, flachen Landschaft keinen Orientierungspunkt geben sollte. Um die Kirche in sozialistischer Zeit für immer aus dem Dorfbild zu tilgen, wurde selbst ihr einstiger Standort unkenntlich gemacht, indem die Straßenkreuzung direkt darüber geführt wurde.

Golzow ist sowohl von Fläche, Bedeutung und EinwohnerInnenzahl das größte Dorf im Umkreis. Dort liegen sowohl evangelisches Pfarramt als auch eine römisch-katholische Kirche, sowie wichtige staatliche Einrichtungen wie Gemeindeamt, Hort, Kindergarten und Schule für die gesamten umliegenden Dörfer. Auch die LPG, die unter heutigen Bedingungen in Form einer Genossenschaft weiterbesteht, hatte auf dem Gelände des ehemaligen Gutshofes ihren Sitz und kulturellen Mittelpunkt mit Verwaltungsgebäude und LPG-Kulturhaus.

Wie bereits erwähnt, fehlt es auch hier an identitätsstiftenden alten Gebäuden. Somit ist der Ort in seinem äußeren Erscheinungsbild nicht das, was typischerweise mit der Vorstellung von Dorf verbunden wird. Für den Anspruch der DDR, den Unterschied zwischen Stadt und Land aufzuheben, wurde auch in der Hauptstraße durch Wohnblocks für LPG-Beschäftigte ein Zeichen gesetzt. Allerdings finden die BewohnerInnen ihr heutiges Dorf sogar schön, weil es so ordentlich ist - mit gepflasterten Gehwegen und gepflegten Rasenstreifen am Straßenrand. Das läßt sich bei der Pampe, die der Regen aus dem dortigen Boden zaubert und die nur sehr schwer wieder von den Schuhsohlen abgeht, dann aber auch gut nachvollziehen.

Alles in allem mag es nicht verwundern, daß die LPG für die Menschen in Golzow sinnstiftend war. Es kommt nicht von ungefähr, daß sie als Musterbetrieb und Vorzeigeobjekt für hohe Staatsbesuche, auch aus dem westlichen Ausland, fungierte. Hier bedingte das eine das andere. Die vor Staatsbesuchen gestellten Anträge wurden fast immer bewilligt, so daß die Golzower Feldflur zum Beispiel über bestens ausgebaute und asphaltierte Wege verfügt, die wie Traktorenautobahnen wirken. In Gesprächen kommt oftmals heraus, daß die häufige Übererfüllung der Planzahlen vor allem damit zusammenhing, daß die Beschäftigten ihre Arbeit nicht als reinen Broterwerb ansahen. Sie waren oftmals von Herzen Bauern und die LPG bot ihnen Sinn. Deshalb lag der Erfolg oft gerade darin, daß die Direktiven von oben nicht beachtet wurden. Wenn die zu erntenden Feldfrüchte noch nicht reif genug waren, so wurde der angeordnete Erntetermin hinausgezögert. So stand Golzow dann vor anderen LPGs, die zwar die Direktive befolgt hatten, die unreife Ernte aber, da sie unbrauchbar war, vernichten mußten.

Die Golzower LPG war für die BewohnerInnen nicht nur sinnstiftend, sondern natürlich auch die größte Arbeitgeberin. Daneben gab es im Dorfe noch eine Fabrikationsstätte des VEB Landtechnischer Anlagenbau (LTA) Frankfurt/Oder. Das Gelände ist heute dem Verfall preisgeben und bietet den gleichen traurigen Anblick wie alle ehemaligen Industrieanlagen im Oderbruch. Die einstigen landwirtschaftlichen Verarbeitungsbetriebe wie der VEB Oderfrucht wurden nach der Wende zum Teil von Westbetrieben übernommen, sind aber in der Zwischenzeit ebenfalls geschlossen. Von den ehemals in der LPG Beschäftigten wurden nur gut 15% für die neue Genossenschaft übernommen. Ein Großteil der BewohnerInnen ist heute also im Vorruhestand. Bei Golzow zeugt ein großes Areal brachliegender und demolierter Gewächshäuser von dieser Misere.

Als kleine Anekdote sei die Erzählung angeführt, wie das Dorf zu seiner ersten Kaufhalle kam. Da der Bau einer solchen nicht bewilligt worden war, wurde ein Offenstall beantragt. Diesem wurde entsprochen, allerdings baute die LPG keinen Stall, sondern die gewünschte Kaufhalle. Nachdem diese nun stand, durfte sie in dieser Funktion dann auch betrieben werden. Heute weist Golzow zwei Kaufhallen auf, die eben erwähnte - im Dorfjargon „Die Kommunisten“ genannt (und sie wirkt in vielem noch wie zu DDR-Zeiten) - und die nach der Wende errichtete, in der sich auch die Postagentur befindet.

Ein wenig Bekanntheit hat das Oderbruchdorf durch die Filmreihe »Wir Kinder von Golzow« erlangt. Es handelt sich hierbei um ein Projekt, in dem über Jahrzehnte hinweg »der Weg von Menschen im sich entwickelnden Sozialismus« aufgezeigt werden sollte. Im Laufe der Jahre sind somit nicht nur die Lebenswege einzelner, sondern auch ihrer Kinder und zum Teil bereits Enkel dokumentiert. Dieses wurde in den ersten Jahren nach der Wende fortgesetzt, ist aber mittlerweile endgültig abgeschlossen. Da von diesen Golzower Kindern dort kaum noch welche wohnen, wurde im Ort selbst in den letzten Jahren jedoch nur eine Folge gedreht. Derweil laufen die Biographien auch heute noch im Regionalfernsehen oder im Berliner Kino »Börse« am Hackeschen Markt.