Der letzte Beitrag zu diesem Thema handelte von den Folgen der Kampfhandlungen
zur Einnahme Berlins im Frühjahr 1945, wodurch es allerorts an
markanter historischer Bausubstanz, die Identität stiften könnte,
fehlt. Dies wirkt sich um so nachteiliger aus, als daß eine
tiefe geistig-kulturelle Verwurzelung im Oderbruch auf Grund seiner
besonderen Geschichte sowieso fehlt. Im folgenden sollen diese Beobachtungen
am Beispiel Golzows noch etwas ausgeführt werden.
Das Dorf wurde erstmals 1308 als Golsow urkundlich erwähnt. Es
wird durch einen großen kreisrunden Platz aus der Zeit der friederizianischen
Erweiterung gegliedert, in dessen Mitte einst die Kirche stand. Sie
war ein markanter Bau der Schinkelschule. Während der Schlacht
um das Oderbruch wurde sie durch deutsche Truppen gesprengt, da auch
hier ihr Turm der anrückenden Sowjetarmee in der weiten, flachen
Landschaft keinen Orientierungspunkt geben sollte. Um die Kirche in
sozialistischer Zeit für immer aus dem Dorfbild zu tilgen, wurde
selbst ihr einstiger Standort unkenntlich gemacht, indem die Straßenkreuzung
direkt darüber geführt wurde.
Golzow ist sowohl von Fläche, Bedeutung und EinwohnerInnenzahl
das größte Dorf im Umkreis. Dort liegen sowohl evangelisches
Pfarramt als auch eine römisch-katholische Kirche, sowie wichtige
staatliche Einrichtungen wie Gemeindeamt, Hort, Kindergarten und Schule
für die gesamten umliegenden Dörfer. Auch die LPG, die unter
heutigen Bedingungen in Form einer Genossenschaft weiterbesteht, hatte
auf dem Gelände des ehemaligen Gutshofes ihren Sitz und kulturellen
Mittelpunkt mit Verwaltungsgebäude und LPG-Kulturhaus.
Wie bereits erwähnt, fehlt es auch hier an identitätsstiftenden
alten Gebäuden. Somit ist der Ort in seinem äußeren
Erscheinungsbild nicht das, was typischerweise mit der Vorstellung
von Dorf verbunden wird. Für den Anspruch der DDR, den Unterschied
zwischen Stadt und Land aufzuheben, wurde auch in der Hauptstraße
durch Wohnblocks für LPG-Beschäftigte ein Zeichen gesetzt.
Allerdings finden die BewohnerInnen ihr heutiges Dorf sogar schön,
weil es so ordentlich ist - mit gepflasterten Gehwegen und gepflegten
Rasenstreifen am Straßenrand. Das läßt sich bei der
Pampe, die der Regen aus dem dortigen Boden zaubert und die nur sehr
schwer wieder von den Schuhsohlen abgeht, dann aber auch gut nachvollziehen.
Alles in allem mag es nicht verwundern, daß die LPG für
die Menschen in Golzow sinnstiftend war. Es kommt nicht von ungefähr,
daß sie als Musterbetrieb und Vorzeigeobjekt für hohe Staatsbesuche,
auch aus dem westlichen Ausland, fungierte. Hier bedingte das eine
das andere. Die vor Staatsbesuchen gestellten Anträge wurden
fast immer bewilligt, so daß die Golzower Feldflur zum Beispiel
über bestens ausgebaute und asphaltierte Wege verfügt, die
wie Traktorenautobahnen wirken. In Gesprächen kommt oftmals heraus,
daß die häufige Übererfüllung der Planzahlen
vor allem damit zusammenhing, daß die Beschäftigten ihre
Arbeit nicht als reinen Broterwerb ansahen. Sie waren oftmals von
Herzen Bauern und die LPG bot ihnen Sinn. Deshalb lag der Erfolg oft
gerade darin, daß die Direktiven von oben nicht beachtet wurden.
Wenn die zu erntenden Feldfrüchte noch nicht reif genug waren,
so wurde der angeordnete Erntetermin hinausgezögert. So stand
Golzow dann vor anderen LPGs, die zwar die Direktive befolgt hatten,
die unreife Ernte aber, da sie unbrauchbar war, vernichten mußten.
Die Golzower LPG war für die BewohnerInnen nicht nur sinnstiftend,
sondern natürlich auch die größte Arbeitgeberin. Daneben
gab es im Dorfe noch eine Fabrikationsstätte des VEB Landtechnischer
Anlagenbau (LTA) Frankfurt/Oder. Das Gelände ist heute dem Verfall
preisgeben und bietet den gleichen traurigen Anblick wie alle ehemaligen
Industrieanlagen im Oderbruch. Die einstigen landwirtschaftlichen
Verarbeitungsbetriebe wie der VEB Oderfrucht wurden nach der Wende
zum Teil von Westbetrieben übernommen, sind aber in der Zwischenzeit
ebenfalls geschlossen. Von den ehemals in der LPG Beschäftigten
wurden nur gut 15% für die neue Genossenschaft übernommen.
Ein Großteil der BewohnerInnen ist heute also im Vorruhestand.
Bei Golzow zeugt ein großes Areal brachliegender und demolierter
Gewächshäuser von dieser Misere.
Als kleine Anekdote sei die Erzählung angeführt, wie das
Dorf zu seiner ersten Kaufhalle kam. Da der Bau einer solchen nicht
bewilligt worden war, wurde ein Offenstall beantragt. Diesem wurde
entsprochen, allerdings baute die LPG keinen Stall, sondern die gewünschte
Kaufhalle. Nachdem diese nun stand, durfte sie in dieser Funktion
dann auch betrieben werden. Heute weist Golzow zwei Kaufhallen auf,
die eben erwähnte - im Dorfjargon Die Kommunisten
genannt (und sie wirkt in vielem noch wie zu DDR-Zeiten) - und die
nach der Wende errichtete, in der sich auch die Postagentur befindet.
Ein wenig Bekanntheit hat das Oderbruchdorf durch die Filmreihe »Wir
Kinder von Golzow« erlangt. Es handelt sich hierbei um ein Projekt,
in dem über Jahrzehnte hinweg »der Weg von Menschen im
sich entwickelnden Sozialismus« aufgezeigt werden sollte. Im
Laufe der Jahre sind somit nicht nur die Lebenswege einzelner, sondern
auch ihrer Kinder und zum Teil bereits Enkel dokumentiert. Dieses
wurde in den ersten Jahren nach der Wende fortgesetzt, ist aber mittlerweile
endgültig abgeschlossen. Da von diesen Golzower Kindern dort
kaum noch welche wohnen, wurde im Ort selbst in den letzten Jahren
jedoch nur eine Folge gedreht. Derweil laufen die Biographien auch
heute noch im Regionalfernsehen oder im Berliner Kino »Börse«
am Hackeschen Markt.