MAI
2002

 
Rubriken
 
Service
 
Kontakt
EXTRA

 

Das Oderbruch: Die Kampfhandlungen 1945

 

Teil II


siehe auch:
Das Oderbruch bis zur Trockenlegung



Die Kirchenruine von Küstrin

Ebenso einschneidend wie die im letzten Ceryx-Beitrag beschriebene Trockenlegung des Bruchs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkten sich die Kampfhandlungen 1945 zur Einnahme von Berlin aus.

Bis Ende 1944 war es der sowjetischen Armee gelungen, die Frontlinie hinter die Grenze der UdSSR zurückzudrängen. Am 12. Januar 1945 begann die Rote Armee eine große Winteroffensive, deren Kernstück die Weichsel-Oder-Operation war. So erreichte sie am Morgen des 30. Januars bei Kienitz das westliche Ufer der Oder. Am 2. Februar wurden bei Reitwein und Lebus weitere Brückenköpfe errichtet. Die sowjetischen Truppen standen siebzig Kilometer vor Berlin. Es gelang ihnen, gegen heftige Angriffe deutscher Verbände die Brückenköpfe zu halten und auszubauen. Zur Verhinderung des weiteren Vordringens der Roten Armee wurde vom Oberkommando der Wehrmacht die Heeresgruppe Weichsel gebildet. Sie hatte die Oderfront von der Ostsee bis zur Einmündung der Neiße zu verteidigen. Zunächst konnte die Wehrmacht die sowjetischen Brückenköpfe durch einen Korridor voneinander getrennt halten. Somit blieb die Verbindung zur Festung Küstrin aufrecht.

Am 22. März 1945 gingen dann sowjetische Verbände zum Angriff über, um die Verbindung der Wehrmacht zwischen Seelow und Küstrin zu zerschlagen und die eigenen Brückenköpfe zu vereinigen. Beide Seiten waren auf die bevorstehenden Kämpfe gut vorbereitet. In wenigen Wochen war auf deutscher Seite ein Verteidigungssystem in einer Tiefe bis zu 40km entstanden. Allerortens wurden die Kirchen gesprengt. Die Türme hätten den sowjetischen Truppen in der flachen Landschaft leicht als Orientierungspunkte dienen können. Die Hauptkampflinien verliefen entlang der Alten Oder und der Seelower Höhen.


Am 16. April um drei Uhr morgens begann die sowjetische Offensive mit einem gewaltigen Artillerieschlag. Eine der erbittertsten Schlachten der Menschheitsgeschichte entbrannte. In den ersten Stunden des Angriffs kamen die sowjetischen Truppen langsam, aber erfolgreich voran. Beim weiteren Vordringen stießen sie jedoch auf starken Widerstand. Beide Seiten erlitten schwere Verluste. Am 17. April entbrannten erneut an allen Abschnitten erbitterte Kämpfe. Es gelang der Roten Armee, an verschiedenen Stellen bis zu 13km vorzustoßen. Nur jeder zehnte Soldat hatte die vergangenen 37 Stunden überlebt. Am 18. April stürmten die Sowjetsoldaten die Höhen auf der ganzen Linie. Die Kämpfe entwickelten sich nun zügig in Richtung Berlin. Am 21. April zogen die ersten Truppen der Roten Armee in den Berliner Vororten ein. Mit dem 8. Mai 1945 ging der bis dahin furchtbarste Krieg der Menschheit zuende.

Die Stele, die an den Übergang
der sowjetischen Truppen erinnert
Mit dem Namen Seelow verbindet sich aber die Erinnerung an jene furchtbaren Tage im Frühjahr 1945, als im Oderbruch wochenlang die Erde bebte, der Geschoßhagel die Bruchlandschaft umpflügte, die explodierenden Bomben und Granaten die Schmerzensschreie der Verwundeten und Sterbenden übertönten und jeder Quadratmeter Oderbrucherde mit Blut getränkt wurde. Über 33.000 sowjetische, ca. 12.000 deutsche und 5.000 polnische Soldaten mußten in den letzten Kriegswochen hier noch ihr Leben lassen.

"Gedenkstätte der Befreiung auf den Seelower Höhen"

Das von Marschall Shukow "angeordnete" Ehrenmal

Bereits am 27. November 1945 wurde das auf Befehl von Marschall Shukow am Osthang von Seelow errichtete Ehrenmahl eingeweiht. Seitdem blickt die Bronzestatue über Gräber gefallener Sowjetsoldaten auf die Weite des Oderbruchs. Der Hervorhebung der Bedeutung der Befreiungsmission der Sowjetarmee (typisch sozialistische Genitivkette!) diente auch die 1972 am Fuße des Ehrenmahls errichtete „Gedenkstätte der Befreiung auf den Seelower Höhen“. 1985 neugestaltet und erweitert, diente sie weiterhin bis zur Wende alleinig diesem Ziel und der Propaganda vom sozialistischen Kampfe gegen Krieg und Faschismus.

Kritische Betrachtungen gab es natürlich keine, obwohl sich durchaus hinterfragen ließe, ob Marschall Shukow für sein ehrgeiziges Ziel, als erster die deutsche Hauptstadt zu erreichen, nicht viel zu viele der eigenen Soldaten buchstäblich hinschlachten ließ...

Erst die Neugestaltung nach der Wende betrachtet die Ausstellung tatsächlich als Antikriegsmuseum. Es will bewußt machen, daß nie wieder ein Krieg von Deutschland ausgehen darf, widmet sich zum erstem Mal an dieser Stelle aber auch den gefallenen oder zu Krüppeln gewordenen deutschen Soldaten.

Trotz ihrer Neukonzeption ist die Gedenkstätte heutzutage noch ein gutes Beispiel für die monumentale Gedächtniskultur der Sowjetära. Beinahe eindrucksvoller als diese zeigt aber ein Besuch in den Ruinen der einstigen Festungsstadt Küstrin die menschenverachtende Wucht dieses Krieges. Die Stadt - heute auf polnischer Seite der Oder gelegen - wurde nach den Kämpfen nicht mehr aufgebaut. Das neue Kostrzyn liegt gut eine halben Kilometer nordöstlich der einstigen Altstadt. Wie römische Ruinen liegt diese vor den BesucherInnen - nur daß hier noch sichtbar ist, wo vor gut sechzig Jahren die Straßenbahn entlangfuhr, das Parkett im Schloß lag und Markt abgehalten wurde. Einer Mahnung gleich, ragt in den Umfassungsmauern der Kirche ein großes Holzkreuz empor.