JANUAR
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2005
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Historienbilder erzählen: Delacroix, "Das Massaker von Chios" |
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Eugène Delacroix (1789-1863) Siehe auch: |
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Delacroix' "Massaker von Chios" zeigt eine türkische Gewalttat gegen die Griechen, die zwei Jahre vor Entstehung des Bildes stattgefunden hat - im Jahr 1822. Hintergrund ist der von 1821 bis 1829 dauernde griechische Befreiungskampf. Unter dem Einfluss der Französischen Revolution versuchten die Griechen die Unabhängigkeit ihrer Heimat zu erlangen, die seit dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 unter osmanischer Herrschaft stand. Die griechische Bewegung fand in Europa breite Anteilnahme, was zum einen an der allgemeinen Griechenlandbegeisterung lag, zum anderen an den Ressentiments gegen die islamischen Osmanen. Der Kampf Griechenlands wurde zu einem Kampf der Nachfahren der antiken griechischen Hochkultur gegen eine barbarische Knechtschaft. In der Bevölkerung erfuhr er eine romantische Verklärung mit dem Reiz des Exotischen, was einem tatsächlichen Verständnis für die Belange der Griechen weniger entsprach. Gerade für Frankreich hatte der Krieg jedoch auch politische
Implikationen. Die französische Restaurations-Regierung schätzte
die griechische Bewegung als christlichen Befreiungskampf, musste
sie jedoch als nationalstaatliche Strömung verurteilen. Tatsächlich
wurde die Bewegung von den oppositionellen Liberalen als direkte Referenz
auf die Französische Revolution angesehen wie auch als Metapher
auf den eigenen Kampf gegen die Restauration. Mit 417 x 354 cm ist "Das Massaker von Chios" ein Großformat und stellt sich damit unter den Anspruch des hohen Stils der Historienmalerei. Es ist jedoch neu in Komposition und malerischem Stil. Die pyramidal aufgebauten Figuren im Vordergrund sind fast in Lebensgröße dargestellt. Der in der Historienmalerei obligatorische Held fehlt: Der türkische Reiter fungiert nur seitlich als Kontrast, die Bildmitte bleibt leer. In der Ferne ist noch das Wüten der Unterdrücker zu erkennen, vorn jedoch ist die Handlung erstarrt. Die Komposition wahrt zwar ein strenges Maß, die hellen Farben und lebhaften Pinseltupfer aber erfüllen das Geschehen mit eindringlicher Kraft. Indem die Opfer ihr Schicksal stumm ertragen, werden sie als edles und stolzes Volk dargestellt, das seine Würde bewahrt. Statt eines rhetorischen Tugendbilds - ein sogenanntes exemplum virtutis - zeigt das Bild eine innere Erfahrung. Die Geschichte wird nicht auf ihre Moral hin gedeutet, sondern als tragisches Schicksal, in das sich der Betrachter einfühlen soll. "Das Massaker von Chios", Delacroix' zweites Gemälde
nach der "Dante-Barke" von 1822, entfachte endgültig
den Streit zwischen Romantikern und Klassizisten, in dem Delacroix
und Ingres als die beiden Gegenspieler zweier unterscheidlicher Stilrichtungen
auftraten. Beim Publikum stieß das Bild mit seiner Darstellung
von Not und Tod eher auf Ablehnung. Nichtsdestotrotz wurde es sofort
durch das Musée du Luxembourg angekauft und sorgte damit für
den Durchbruch der Romantik. aw |