MAI
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2007
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Die Metonymie:
Wie wir zu Schnitzeln und Blinddärmen werden
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Lange
Zeit sah man die Metonymie nur als kleine Schwester der Metapher an
und vernachlässigte sie geradezu. Aber seit einiger Zeit gilt auch
ihr ein vermehrtes Interesse. Auch sie scheint eine wesentliche Rolle
in der Organisation unseres Denkens bzw. dessen sprachlicher Umsetzung
zu erfüllen. Auch sie kann erstaunliche Effekte erzielen. So können
durch sie ganz schnell aus normalen Menschen Schnitzel und Blinddärme
werden - wie gleich zu sehen sein wird allerdings natürlich nur
im Hinblick darauf, wie diese Personen in bestimmten Situationen mit
sprachlichen Mitteln metonymisch bezeichnet werden können.
Der Begriff "Metonymie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie "Namensvertauschung" oder "Umbenennung". So kann eine Krankenschwester z. B. sagen "Der Blinddarm braucht noch seine Medikamente" oder der Kellner im Restaurant kann vom "Schnitzel", das schon seit einer halben Stunde auf die Rechnung wartet, sprechen. Dass hier mit Blinddarm natürlich nicht ein bestimmter Teil des Darms, sondern der Patient gemeint ist, dessen Blinddarm entfernt wurde, ist genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass sich der Kellner nicht auf das Stück Fleisch, sondern auf den Gast bezieht, der selbiges bestellt und verzehrt hat. Krankenschwester und Kellner verwenden die Wörter metonymisch. Dass beide dennoch verstanden werden, hängt damit zusammen, dass - zumindest in dem Umfeld einer Krankenschwester bzw. eines Kellners - die Person eng in Verbindung mit ihrer Krankheit, also dem entzündeten Blinddarm, oder dem bestellten Essen, also dem Schnitzel, steht. Diese Verbindung wird hier ausgenützt, um schnell und eindeutig auf eine bestimmte Person mittels eines in der jeweiligen Situation zentralen Charakteristikums zu verweisen. Die Ausnutzung derartiger Zusammenhänge kann auch weniger situationsbezogen stattfinden. Während Herr Müller sicherlich nur während seines einstündigen Restaurantaufenthaltes mit einem Schnitzel assoziiert wird, ist der Zusammenhang zwischen Schiller und seinem Werk in dem Satz "Hans liest gerade Schiller" oder der Zusammenhang zwischen Deutschland und seinen Bewohnern in "Ganz Deutschland feierte während der WM" sicherlich von dauerhafterer Natur. So kann Metonymie dazu dienen, sich einfacher, unmittelbarer und damit manchmal auch eindeutiger auf bestimmte Objekte, Personen oder Sachverhalte zu beziehen (wie z. B. im Fall des Schnitzels und des Blinddarms), schlichtweg komplizierte Wendungen zu verkürzen oder aber auch absichtlich eine gewisse Vagheit herbeizuführen (z. B. in dem Satz "Berlin hat weitere Maßnahmen im Klimaschutz angekündigt", in dem - wenn etwa die Information dem Sprecher nicht bekannt ist - nicht präzisiert werden muss, ob mit Berlin die Kanzlerin, der Regierungssprecher oder der Umweltminister gemeint ist). Außerdem kann man Metonymien auch nach dem Grad ihrer Verfestigung im Sprachgebrauch unterscheiden. So bewirkt eine Metonymie im Laufe der Zeit manchmal eine Bedeutungsveränderung eines Wortes und geht auf diese Weise völlig in den Wortschatz einer Sprache über, wird also lexikalisiert, ohne weiter als Metonymie wahrgenommen zu werden. Das französische Wort "bureau" etwa bezeichnete zunächst eine bestimmte Stoffart, mit der Schreibtische bespannt wurden. Dann verwendete man es für den Schreibtisch selbst, noch später auch für den Ort, an dem der Schreibtisch stand, also das, was wir auch im Deutschen als Büro kennen. Diese beiden Bedeutungen sind heute noch im Französischen präsent und werden wohl kaum von einem Sprecher als ungewöhnlich und metonymisch wahrgenommen. All diese alltäglichen und häufig unbewussten Verwendungen
von Metonymie zeigen, dass es zu kurz gegriffen wäre, Metonymie
als reines Stilmittel zu verstehen, wie es zunächst in der traditionellen
Rhetorik der Fall war. Auch die Vorstellung einer reinen Umbenennung
kann dem komplexen Mechanismus der Metonymie wohl kaum Rechnung tragen.
Andere Ansätze begriffen die Metonymie zwar schon als ein allgemeineres,
nicht nur rhetorisches Verfahren, aber sahen sie immer noch als eine
"Steht-für"-Relation (z. B. "Schiller" steht
für "Buch von Schiller/Schillers Werk"), in der lediglich
eine Bezeichnung durch eine andere ersetzt wurde. Diese Substitutionstheorien
wurden aber in der Folge von eher kognitiv orientierten Theorien in
Frage gestellt: Hängt nicht die Metonymie mit der Strukturierung
unseres gesamten Denkens zusammen, insofern, als eine bestimmte konzeptuelle
Einheit (in unserem Fall also die Idee eines Blinddarms, eines Schnitzels,
Schillers oder Deutschlands) benannt wird und damit mentalen Zugang
zu einem anderen in unserem Denken damit verbundenen Konzept (also
der Vorstellung eines Patienten, eines Gasts, eines Buchs oder der
Bewohner Deutschlands) ermöglicht? Wohlgemerkt liegt bei diesen
Theorien die Betonung darauf, dass die Verbindung zwischen den beiden
Konzepten nicht unbedingt auf Zusammenhänge in der Welt, sondern
auf von uns in unserem Denken hergestellten Zusammenhängen aufbaut.
Erst über das gedankliche Konstrukt der Autorschaft können
wir z. B. ein konkretes Buch, das der lesende Hans in der Hand hält,
und Schiller in Verbindung bringen, denn der Zusammenhang in der realen
Welt ist allerhöchstens nur noch ein sehr indirekter: Schiller
selbst hat genau dieses Buch nie in Händen gehalten, vielleicht
beinhaltet es sogar nur eine Zusammenstellung seiner Gedichte, die
er selbst nie so veröffentlicht hat. So verweist die Auseinandersetzung
mit Metonymie auf die fundamentalen Fragen, wie unser Denken Konzepte
strukturiert und wie dies mit Bedeutung und Sprache zusammenhängt. bk |