Charlotta, genannt Lolle, ist ein junges Mädchen, das gerade das Abi in
der Tasche hat. Außerdem hat sie eine Idee, was sie mit der neugewonnenen
Freiheit anfangen soll: Was sie über alles liebt und kann ist Zeichnen,
und das möchte sie auch machen und nicht das von ihrer Mutter arrangierte
blöde Zeitungspraktikum.
Lolle weiß, was ihr liegt und sie weiß, was sie nicht will. Das ist
schon um einiges zielstrebiger und mehr als mancher von uns nach dem
Abi weiß. Doch wie das Schicksal so seinen Lauf nimmt, macht Lolles
Freund Tom unerwartet per Brief Schluss und Lolle beschließt, ihre
neugewonnene Freiheit auszunutzen und ihm nach Berlin nachzureisen.
Unterschlupf findet sie bei ihrem Cousin Sven – der in einer für Großstädte
so typischen großen Altbauwohnung lebt. Praktischerweise sucht er
gerade Untermieter, da seine Frau mit dem gemeinsamen Sohn ausgezogen
ist. Lolles Zufallsbekanntschaft, die fetzige lesbische Schauspielerin
Rosalie, wird auch noch in die WG aufgenommen – fertig ist die Berliner
Mischung.
Der heimatlichen Kleinstadt entwischt und
noch ohne genaue Vorstellungen, wie lange sie in Berlin bleiben will,
arbeitet Lolle erst als Kellnerin und Küchenhilfe in einem vietnamesischen
Imbiss und wechselt dann in das Restaurant „Jaffa“, wo sie sich prompt in
ihren Chef Moshe verliebt und er sich in sie. Es beginnt eine zärtliche
Liebesbeziehung. Moshe ist aber mit Sarah verheiratet – und Lolle folglich
in einer emotionalen Krise. Dass die beiden jüdischen Figuren in der Serie
Moshe und Sarah heißen, ist nicht weiter verwunderlich, denn welcher
Abendfernsehgucker, der Unterhaltung sucht, würde den Juden z.B. „Benni“
und „Uschi“ abnehmen? Es gibt in der Literatur nun mal einige
prototypische Namen, die für sich sprechen und die lange Erklärungen
überflüssig machen; nehme man nur Eichendorff, Kafka oder Brecht. Diese
Autoren benutzen in ihren meisten Erzählungen und Romanen der Symbolkraft
halber „vorbelastete“ Namen. Dass man in einer Vorabendprogrammserie nicht
von tiefsinnigen Symbolnamen sprechen kann, ist selbstverständlich, aber
warum sollte der Serienschreiber sich nicht auch in diese Tradition
begeben, um es dem Zuschauer aus der letzten Bank verständlich zu machen?
Reine Tiefenpsychologie!
Natürlich arbeitet „Berlin, Berlin“ auch mit Klischees - welche Serie
macht das nicht? Man muss sich einfach vor Augen halten, was man von
einer Vorabendserie erwarten kann – natürlich keine tiefgründige Studie
über z. B. das Phänomen „Generation Berlin“. Dafür ist so etwas denkbar
ungeeignet. Unterhaltung, schöne und lustige Geschichten will man
sehen, was für's Herz, was für die Lachmuskeln; daraufhin sind Seifenopern
nun mal angelegt. Doch „Berlin Berlin“ ist im Gegensatz zu „Verbotene
Liebe“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und wie sie alle heißen mögen
wenigstens mit guten Schauspielern ausgestattet, deren Typen wirklich
gut und treffend ausgesucht wurden. Das A und O bei so einer Serie
ist nämlich, dass der Zuschauer die Figuren sympathisch findet und
sich mit ihnen in gewisser Weise identifiziert. Und das ist bei Lolle&Co.
wirklich gelungen und wird nie langweilig, da die Stories pfiffig
(natürlich mit dem einen oder anderen Klischee, warum auch nicht?),
rasant und lustig erzählt werden. Was bei „Berlin Berlin“ besticht,
ist, dass sich die Serie selbst nicht so ernst nimmt, was sie erfrischend
von den pseudo-lebensechten Soaps abhebt!
Daher sind auch Zeitsprünge nicht so ernst zu nehmen. Wer will denn
sehen, wie Lolle ihr restliches Hab und Gut aus der Heimatstadt nach
Berlin holt oder geschickt bekommt oder kauft oder was auch immer.
Das, was in „Marienhof“ bis ins langweiligste Detail genau gezeigt
wird - wie Familie Maldini aufsteht, sich die Zähne putzt, frühstückt
usw. - wird in „Berlin Berlin“ übersprungen, da es einschaltquotenschädlich
ist. Natürlich gibt es auch mal eine Folge, die nicht so gelungen
ist – je nach Geschmack des Zuschauers! Aber jedem unterläuft mal
so ein Fehler, den großen Autoren, Schriftstellern, Regisseuren. Das
ist alles verzeihlich. Ein wirklich origineller Einfall sind die Comicsequenzen,
mit denen Lolles Gefühlsleben dargestellt wird. Aber auch an diesen
scheiden sich die Gemüter; manch einer empfindet es als störend, manch
einer als treffender als alles Gesagte. Ähnliche Animationen gibt
es wohl auch z. B. in „Ally McBeal“, worüber man sicher einiges schreiben
könnte, wenn man die Kraft aufbringen könnte, sich so eine Serie mal
durchgängig anzuschauen. Wer wirklich einmal eine schlechte Serie
mit schlechten, hässlichen Darstellern, surrealen und an den Haaren
herbeigezogenen Stories (würden sie doch nur mit Klischees arbeiten!!!)
und abartiger Aufmachung sehen will, ist hier am richtigen Platz.
Eine Serie über den Massenexodus der gelangweilten Provinzjugend nach
Berlin wäre auch durchaus interessant gewesen. Gehört jedoch in ein
anderes Genre! Eine Analyse des gesellschaftlichen Phänomens der „Generation
Berlin“, also ein Psychogramm der jungen Leute, die mit vagen künstlerischen
Ambitionen, unklaren Vorstellungen und großen Illusionen in die Hauptstadt
kommen, ist in so einer Serie falsch aufgehoben und hätte auch keinen
überwältigenden Erfolg gehabt. Dergleichen gehört in eine ganz andere
Sparte: Sicher könnte man eine Doku drehen über all die
gescheiterten Existenzen, die aus der Provinz nach Berlin kamen. Man
sollte eben seine Erwartungen auf eine Vorabendserie nicht zu hoch
schrauben. Eine genaue Studie über die Stadt Berlin oder insbesondere
über die Universitätsstadt Berlin ist es natürlich nicht – war aber
auch nie dafür konzipiert!
Man hätte für die Serie jede x-beliebige Großstadt nehmen können.
Doch Lolle zeigt ja gerade nicht das typische Mädel, das nach dem
Abi in der nächstgelegenen Großstadt Französisch und Englisch studiert,
sondern eine Ausreißerin – was die Stories so interessant macht und
womit man sich als junger Mensch leicht identifiziert – mal was anderes
machen als vorgesehen! Und man sollte die Meinung „Die macht ja nix
G'scheits nach der Schule, so etwas ruchloses“ als typisch deutsch
ansehen. Denn bitte, so ein Denken hat in einer Serie nichts zu suchen.
Die große Frage ist also: Was erwartet man von einer Serie? In puncto
Unterhaltungsserie hat „Berlin Berlin“ eine dicke Eins verdient. Wer
weiß denn so genau, ob es da nicht wirklich jemanden gibt, der in
einer Dreier-WG mit seinem Cousin wohnt, die Hochs und Tiefs des jugendlichen
Lebens durchmacht, den ersten One-Night-Stand und die erste ernste
Liebe erlebt, sich und seine Wünsche, Erwartungen und Ziele entdeckt
und einfach mal lebt?
sn