DEZEMBER
2007

 
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LITERATUR



Günter Nehms "Verspektiven": Geschüttelt, nicht gerührt

Günter Nehm
Verspektiven
Fischer 2006

Siehe auch:
Robert Gernhardt:
Preisträger in der Kategorie "Reif und Bekloppt"

(Ceryx März 2001)

Die unter dem Titel "Verspektiven" erschienene Gedichtauswahl von Günter Nehm bietet einen ganzen Cocktail aus Verskunst, Schüttelreimen und Wortspielen. Für Liebhaber des komischen Sprachunfugs eine wahre Freude.

Der 1926 in Wattenscheid geborene Günter Nehm arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Bergbau, was ihn aber nicht davon abhielt, der Dichtkunst zu frönen. Seit Mitte der siebziger Jahre veröffentlichte er verschiedene Gedichtbände, in denen er auf meisterliche und meist humoristische Weise ungewöhnlichen Reimformen huldigt. Eine von Robert Gernhardt vorgestellte Auswahl erschien 2006 unter dem Titel "Verspektiven". Wenn Gernhardt bekanntermaßen wissen lässt "Sonette find ich sowas von beschissen / so eng, rigide, irgendwie nicht gut", dann wäre zu erwarten, dass ihm die strengen Vorschriften von Schüttelreim, Anagramm oder Doppelreim erst recht zuwider sein müssten. Nehm und seine Wortspiele findet er trotzdem gut und zollt ihnen in seinem kurzen Aufsatz Anerkennung.

Diese haben sie auch verdient. Trotz der formalen Herausforderungen ist Nehms "Unsinnspoesie", wie Gernhardt sie bezeichnet, dennoch inhaltlich erstaunlich sinnig und vor allem humorvoll. Die Gedichtsammlung ist nach Gedichtformen bzw. Reimarten geordnet, sodass man die technische Kunstfertigkeit in allen Spielarten bewundern kann. Begonnen wird mit Schüttelreimen, also Reimen, in denen die Konsonanten von zwei am Ende des ersten Verses stehenden Wörtern oder Silben am nächsten Zeilenende vertauscht werden, wie in "Maos Souvenirs":

Wenn ich den alten Mao bitt':
»Bring' mir was aus Bilbao mit!«,
dann kommt er auch nach Moabit
und bringt mir eine Boa mit. (Verspektiven, S. 11)

Doch Schüttelreime sind nicht die einzige Form. Auch Doppelreime, bei denen sich nicht nur die letzte, sondern mehrere Silben reimen müssen, beherrscht Nehm vorzüglich. So erfährt man z. B. in "Reim Dich! – Doppelreime" folgende Weisheiten:

Eichen weichen schlichten Fichten.
Vettern klettern, Nichten dichten.
Frauen trauen kecken Recken.
Reiche Scheiche schlecken Schnecken. (Verspektiven, S. 23)

Ebenso treffend setzt er Wortspiele ein, indem er u. a. die gleiche Buchstabenfolge durch immer andere Setzung der Wortgrenzen, wie im "Insektenschicksal", variiert. Tritt dies dazu noch am Zeilenende auf, dann liegt ein Zwillingsreim vor, wie im Gedicht "Standortnachteile":

Insektenschicksal
Sein ganzer Lebensmut versinkt,
wenn ein Insekt in Sekt ertrinkt.
Sein Los beklagen sehr betreten,
Insekten, die in Sekten beten. (Verspektiven, S. 32)

Standortnachteile
Nachteil auf dir, kahler Asten,
ist das vertikale Rasten. (Verspektiven, S. 39)

Auch an Anagrammen und Palindromen, an Akrosticha (Gedichte, deren Buchstaben oder Silben an den Zeilenanfängen ein Wort oder einen Satz ergeben) oder an Abecedarien (Gedichte, die aus Wörtern zusammengesetzt sind, deren Anfangsbuchstaben der Reihe nach das ABC ergeben) fehlt es nicht. Genauso wenig wie an Gedichten, die man sowohl nach Zeilen als auch nach Spalten lesen kann. Und natürlich finden sich diverse Variationen und Kombination der erwähnten Formen. Dem Wortspielfreund ist dieses Gedichtbändchen voll des feinsten Wortwitzes also nur zu empfehlen.

bk