AUGUST
2005

 
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KUNST




Historienbilder erzählen: Cy Twomblys "Lepanto"


Cy Twombly, "Lepanto" (Detail), 2001
Sammlung Brandhorst

"Lepanto"
Ausstellung im Museum of Fine Arts, Houston
bis 11. September 2005

Siehe auch:
Cy Twombly, "Fifty Years of Works on Paper"

Cy Twomblys "Lepanto" erzählt die Geschichte der bedeutenden, vielleicht der bedeutendsten und blutigsten Seeschlacht im Golf von Korinth: 1571 besiegte eine Allianz aus spanischen, venezianischen und päpstlichen Truppen die Osmanen in einem Seegefecht. 260 türkische und 211 christliche Schiffe standen sich gegenüber, am Abend haben 37 646 Menschen ihr Leben verloren. Fernando Bertelli hat uns die Schlacht in einem Kupferstich als stilles Zeugnis hinterlassen.

"Lepanto" - eine Ausstellung im Museum of Fine Arts, Houston. Die Eröffnung am 27. Mai galt alleine dem Künstler, doch Cy Twombly, der sich unbemerkt unter die geladenen Gäste mischte, blieb bald inkognito in der Ecke des Saales auf einer Couch sitzen - im Gedächtnis der Eröffnung der Ausstellung "Lepanto" 2002 in der Alten Pinakothek in München, als er sich draußen vor der Türe für eine kurze Weile unter die Zuschauer gemengt hatte, während drinnen die Presse auf ihn wartete, er aber bald wieder - unerkannt - den Ort verließ. Unerkannt auch in Houston.

"Lepanto" - entstanden zur 49. Biennale di Venezia, als man Twombly einen eigenen Raum widmen wollte und er es sich nicht nehmen ließ, ein vollkommen neues Werk zu schaffen.

"Lepanto" - ein Bild in zwölf Teilen, ein Bilderzyklus, beinahe ein Comicstreifen. Aus der Vogelperspektive, bald in der Totalen, dann wieder in der Nahaufnahme wird die Schlacht "erzählt". Eingerahmt wird sie mit den Bildern 1, 4, 8 und 12 von bunten, gar fröhlichen Farbakkorden: gelbe und rote Flecken empfangen uns im ersten Bild, die Farben verlaufen, beinahe möchte man einen sich auf dem Wasser spiegelnden Sonnenaufgang sehen. Aber schon das zweite Bild stürzt uns in die nüchterne Wirklichkeit: erste Schiffe erstürmen die Leinwand, rotgelbe verlaufende Flecken auf ihren Planken kündigen schon ihr Schicksal an, die Wasserfarbe wird kräftiger, noch mehr Schiffe, das Rot beginnt das sanfte Gelb zu verdrängen.

Der Sonnenaufgang verschwindet nun gänzlich im 4. Teil, rot, blutrot verlaufende Farbe, das Gelb zurückdrängend, die Tupfer sind wohl geordnet, beinahe in Schlachtaufstellung. Selbst die rechte untere Ecke, die im ersten Bild noch weiß geblieben ist, verliert ihre Unschuld durch lilarote Streifen. Die Schlachtschiffe werden zunehmend dunkler, schwere schwarze Linien deuten ihre Form an, manche sind verblasst, "ausradiert", die ersten Verluste, das Bild scheint rauchiger zu werden, Rot wandelt sich zu Blutrot, das Wasser bedrohlich kalt.

Stark verschwimmende und zerlaufende Farben im sechsten Bild, ein Schiff ganz in schwarz, umrandet von roten Linien, das Feuer, das auf der Seite des Feindes mitkämpft, fordert seinen Tribut. Versinkende Schiffe, zerfließende Farbmassen färben das Wasser im rechten Teil. Auch das Grün, das wir schon im ersten Abschnitt bemerkt hatten, damals noch vielleicht als hoffendes Attribut, verschwindet jetzt hinter rauchenden Schiffsbalken. Bild sieben offenbart uns das ganze Ausmaß der Schlacht: die Farben kräftig, verlaufend, vereinigen sich am unteren Rand; die Schiffe missen ihr schweres Schwarz, ein leuchtendes Rot hat es ersetzt. Wohl kräftige und bunte Farben im oberen Teil, die jedoch im Verlaufen sich zu einer flehenden Masse zusammenfinden und aus dem Bild flüchten.

Bruch: Wieder das Thema aus Bild 1 und 4 aufgreifend, adaptiert dieser Teil doch das Schicksal, das Gemetzel auf den Booten und hüllt sich in lilarote Kleckse, die sich vor das schillernde Gelb stemmen und mit dunkler Farbe verschwimmen. Dunkelheit, Rauch, alle Schiffe gehen nun ihrem Schicksal entgegen, bald zur Unkenntlichkeit verlaufen, bald weggewischt, mit Wasser übertüncht, untergegangen. Zurück wieder in Schlachtordnung, Dunkelrot sticht aus dem Himmelsblau des Wassers hervor, selbst das Gelb möchte nicht mehr glänzen und passt sich verlaufend dem Schicksal der anderen Farben an. Nun ganz mit Lilarot ausgefüllt sind die Schiffe zu ihrem Fatum dann endgültig verdammt, das letzte Bild erinnert uns an die Werke Hermann Nitschs: das OrgienMysterien Theater - Blut dominiert die Leinwand. Das Grün, das auch in Bild elf noch einmal aufblitzte, ist jetzt verschieden, Pink, Rot und Lila erzählen vom Ausgang der Schlacht.

"Lepanto" erzählt - und reiht sich so in die große Tradition der Historienmalerei ein. Ein Revival der Historienmalerei scheint stattzufinden - auch Anselm Kiefer greift die Gattung auf, doch beide interpretieren sie neu. Gemein mit den großen Werken von Piloty oder Altdorfer bleibt ihnen nur die Größe, um die Bedeutsamkeit der Ereignisse widerzuspiegeln. Die Syntax jedoch ist eine neue, eine zeitgemäße, eine, welche die Errungenschaften der Moderne und vor allem Postmoderne aufgreift und deutet. Barry Walker, der Kurator für der Kunst des 20. Jahrhunderts am Museum of Fine Art, Houston, sieht in "Lepanto" die auf die Essenz reduzierte historische Wirklichkeit, dargestellt in einer Art, die ein "Redefining" des eigentlichen Malens sei. Er widerspricht somit vehement den Meinungen, die das Werk als "kindlich-naiv" abstempeln. Ausgehend vom "Tapestry from the Battle of Lepanto" (Palazzo Doria Pamphili) entkleidet Twombly die Schlacht auf das bloße Gewesen-Sein, hüllt es in die Moderne und verleiht ihr somit Universalcharakter.

Zwar ist "Lepanto" vor dem 11. September entstanden, der aufgegriffene Topos hat somit nichts mit der heutigen scheinbaren Auseinandersetzung von Islam versus Christentum, von Oxident versus Orient zu tun, doch fast 500 Jahre später ist das Thema so aktuell wie in den letzten Jahrzehnten nicht mehr. Dennoch wollte Twombly keine politische Botschaft nach Walker übermitteln, sondern es ist eher des Künstlers Vorliebe für das Gewesene, für das Historische und Antik-Mystische, was sich hier in der völligsten Elementarisierung veroffenbart.

Für Walker ist "Lepanto" eines der bedeutendsten zeitgenössischen Werke - erschrocken sei er doch gewesen von dem Wechsel zum farbigen Ende der 80er Jahre bei Twombly - doch jetzt zeigt sich dieser gewagte Schritt als schon ein überfälliges Momentum, ohne das "Lepanto" sich wahrlich nicht so in der Menschen Köpfe festsetzen und die Kunstlandschaft wahrscheinlich signifikant prägen könnte.

"Lepanto" - die zeitgenössisch gewordene Historie noch zu sehen bis zum 11. September 2005 im Museum of Fine Arts, Houston.

jw