JANUAR
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2003
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Dada-Fotocollage
- das Narrenspiel aus dem Nichts
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Provokation
und Traditionsbruch waren die Hauptanliegen der Dadaisten. Der Traditionsbruch
verlangte neue Ausdrucksformen, wie die Fotocollage, für die propagierte
Anti-Kunst.
"Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorengeste; ein Spiel mit den schäbigen Überbleibseln; eine Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle. [...] Da der Bankrott der Ideen das Menschenbild bis in die innersten Schichten zerblättert hat, treten in pathologischer Weise die Triebe und Hintergründe hervor. Da keinerlei Kunst, Politik oder Bekenntnis diesem Dammbruch gewachsen scheinen, bleibt nur die Blague und die blutige Pose," schrieb Hugo Ball am 12. Juni 1916 in sein Tagebuch. Im Jahr 1916 drängten sich in Zürich junge Künstler aus allen Teilen Europas, die vor dem Weltkriegsgeschehen geflüchtet waren. Sie formierten eine Nihilistengruppe, die sich den ironisch-mehrdeutigen Namen Dada gab, und traten in radikale Opposition zu allem Althergebrachten. Dada war von Anfang an eine internationale Bewegung. Bald bildeten sich lokale Gruppen in New York, Berlin, Hannover, Köln, Paris und sogar in Japan. Die Absicht der Dadaisten war nicht ein einfacher Bruch mit der traditionellen Ästhetik, sondern die Konstitution einer Anti-Kunst, die nicht über Einflüsse und Filiationen zu definieren war. Als Ausdrucksformen dieser Anti-Kunst kamen nur Kategorien in Frage, die nicht durch kunst- oder literaturgeschichtliche Traditionen belastet waren. So entwickelte sich, vor allem in der Berliner Dada-Gruppe, die Fotocollage zu einem zentralen Element der Dada-Anti-Kunst. Parallel zur bildenden Kunst entstand mit analogen Produktionsmethoden die Montageliteratur. Die Fotocollage, zeitgenössisch auch Fotomontage genannt, wurde ein bevorzugtes Medium der Dada-Anti-Kunst, da sie der anarchischen Grundhaltung Dadas entsprach und nicht, wie beispielsweise die Porträtmalerei, in einer langen kunsthistorischen Tradition stand. Ohne Vorläufer war die Collage indes nicht. Picasso und Braque hatten bereits mit den kubistischen "papiers collés" experimentiert. Sie konstruierten aus verschiedenen Papieren - wie Tapetenresten, Zeitungsausschnitten und Werbung - ästhetische Kompositionen. Das integrierte Textmaterial spielte allerdings, anders als in dadaistischen Collagen, keine Rolle. Unabhängig von den kubistischen Versuchen entwickelten die Dadaisten eine neue, provokantere Collagenform, die sich von der kubistischen Collage nicht nur durch den größeren Textanteil unterschied, sondern vor allem durch die Zielsetzung. Wurde die kubistische Collage nach ästhetischen Überlegungen konstruiert, so hatte die dadaistische Collage vor allem gesellschaftspolitische Beweggründe. Sie sollte die bürgerliche Kultur als eine Kultur der Selbstzerstörung entlarven und in ihrer Absurdität karikieren. Wer die Collage für den Dadaismus entdeckte ist unklar. Die Hauptvertreter der Collagenkunst kamen aus der Berliner Gruppe, der politischsten, gesellschaftskritischsten Gruppe. Ein Transfer von der Züricher Gruppe ist jedoch nicht ausgeschlossen. In Berlin beanspruchten sowohl George Grosz als auch John Heartfield und das Künstlerpaar Hannah Höch und Raoul Hausmann die Urheberschaft der Innovation. Die plausibelste Geschichte führt auf einen Ostseeurlaub Höchs und Hausmanns im Jahre 1917 oder 1918 zurück. Hans Richter kolportierte später: "Gegenüber ihrem Bett hing ein großer gerahmter Öldruck. In der Mitte war der junge Kaiser Wilhelm II. im Kreise seiner Vor- und Nachfahren abgebildet, deutsche Eichen und Orden usw. Etwas höher, ebenfalls in der Mitte, stand ein junger Kanonier, unter dessen Helm das Portrait des Hausherren, bei dem sie wohnten, eingeklebt war. So stand der junge Pionier von seinen Oberen umgeben, stolz inmitten der irdischen Herrlichkeit. Das Paradoxe dieser Situation erregte Hausmanns immer wache Angriffslust. Natürlich, dieses Kleben' könne man ja auch für manches andere, für alles Dämliche und Verrottete, benützen, um die Welt in ihrer abstrusen Sinnlosigkeit bloßzustellen!" Die ersten dadaistischen Collagen bestanden aus Federzeichnungen, denen ausgeschnittene Werbeslogans und Reportagefotos hinzugefügt worden waren. Auf die Zeichnungen wurde bald verzichtet. Die folgenden Collagen bestanden nur noch aus Zeitungsfotos, die neben Alltagsgegenstände geklebt wurden. Um so banaler und wertloser die Gegenstände waren, desto besser. Abfall wurde mit der Maxime "Alles ist Kunst" aufgewertet und in die Collagen integriert. Kurt Schwitters erklärte: "Was das verwendete Material vor seiner Verwendung im Kunstwerk bedeutet hat, ist gleichgültig, wenn es nur im Kunstwerk seine künstlerische Bedeutung durch Wertung empfangen hat. So habe ich zunächst Bilder aus dem Material konstruiert, das ich gerade bequem zur Hand hatte, wie Straßenbahnfahrscheine, Garderobenmarken, Holzstückchen, Draht, Bindfäden, verbogene Räder, Seidenpapier, Blechdosen, Glassplitter usw. Diese Gegenstände werden, wie sie sind, oder auch verändert, in das Bild eingefügt, je nachdem es das Bild verlangt. Sie verlieren durch Wertung gegeneinander ihren individuellen Charakter, ihr Eigengift, werden entmaterialisiert und sind Material für das Bild." Das Bildmaterial und die Alltagsbanalitäten wurden provokativ kombiniert - Politprominenz wurde neben Zootiere gestellt, ausgeschnittene Köpfe wurden auf antike Frauentorsos, auf Hochhäuser oder technische Geräte geklebt, Gegenstände wurden aus ihrem Kontext gelöst, was sie mehrdeutig und irritierend wirken ließ. Durch hinzugefügte Buchstaben und Sätze aus Zeitungsartikeln, Werbeslogans, alten Briefen und Zeilen aus dem Dada-Almanach entstand ein spannungsvolles Text-Bild-Verhältnis, das Verfremdungs- oder zumindest Befremdungseffekte erzielte. vh |