OKTOBER
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2002
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Was heißt'n
das: "Eurolekt"
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Beim Abschluss der Locarnopactes im Jahre 1926 sagte Aristide Briand über seine Gespräche mit den Deutschen "...wir haben Europäisch gesprochen. Das ist eine neue Sprache, die wir lernen müssen." Obwohl er bei dieser Aussage sicher nicht an linguistische Probleme gedacht haben wird, hat er auch in diesem Bereich Recht gehabt. Zwar war es nicht nötig, eine völlig neue Sprache zu erlernen, doch weist die Rechts- und Verwaltungskommunikation innerhalb der EU einige sprachliche Besonderheiten auf. Die Sprachenregelungen der EU sehen Vielsprachigkeit vor; alle Sprachen sind gleichberechtigt, u.a. damit jeder EU- Bürger die Möglichkeit hat die Rechtstexte in seiner Landessprache zu lesen. Die sprachliche Vielfalt trägt zur kulturellen Vielfalt der Union entscheidend bei. Insgesamt gibt es in der EU 12 authentische Sprachen (Gälisch inbegriffen), in denen die Gründungsverträge Rechtsverbindlichkeit haben. Amts- und Arbeitssprachen sind die authentischen Sprachen, wobei Gälisch hierbei ausgenommen wird. Generell wird die Sprache der EU- Dokumente, unabhängig von der jeweiligen Einzelsprache, heftig kritisiert und mit Ausdrücken wie Eurokauderwelsch oder Eurofog betitelt. In den Gremien der EU werden teilweise schon die Originaltexte nicht von Muttersprachlern verfasst; man weicht aus pragmatischen Gründen auf die allen mehr oder weniger geläufigen Sprachen Englisch und Französisch aus. Dies ist sicherlich ein Grund, mit dem man sich die Kritik erklären kann. Durch die Vielsprachigkeit kommt es unvermeidlich zu Divergenzen zwischen den unterschiedlichen Versionen der Texte des Gemeinschaftsrechtes. In diesen Fällen behilft man sich mit einer teleologischen, d.h. zielgerichteten Auslegung der Texte. Neben den sich aus der Vielsprachigkeit ergebenden Problemen weist die Sprache der EU einige Besonderheiten auf, die mit der speziellen Rechtssituation zusammenhängen. Diese Phänomene findet man auf der Ebene des Wortschatzes, der Phraseologie (Ausdrücke, Redewendungen, Kollokationen etc.) und auch des Textes. Die Gesamtheit dieser Phänomene bezeichnet man als Eurolekt. Das Entstehen einer neuen juristischen Ordnung, die zudem sehr komplex ist, bedingt die Schaffung neuer Bezeichnungen. Diese neuen Bezeichnungen (Euronyme) gilt es dann zu normieren und in alle europäischen Sprachen zu übertragen. Die Internetdatenbank EURODICAUTOM gibt in allen Sprachen der EU Auskunft über riesige Menge von in der EU-Kommunikation benutzten Ausdrücken. Neben der Schaffung von Euronymen werden bereits in einer Sprache bestehende Bezeichnungen in andere Sprachen übertragen. Außerdem wird in der EU-Kommunikation sehr viel abgekürzt, was der Verständlichkeit der Texte abträglich ist. Der lexikalische Bestand der EU-Texte ist häufig an eine spezifische phraseologische Verwendungsweise gebunden, über die EURODICAUTOM ebenfalls informiert. Auf textueller Ebene wird der Eurolekt durch die Tatsache geprägt,
dass innerhalb der EU sehr verschiedene Rechtsvorstellungen mit sehr
verschiedenen sprachlichen Realisierungsformen aufeinandertreffen.
Bei der Schaffung von Gesetzestexten wird häufig ein nationales
Recht als Modell genommen; der neu entstandene Gemeinschaftstext ist
somit nicht nur inhaltlich sondern auch in Form und Struktur stark
von diesem Modell beeinflusst. Wird der Gemeinschaftstext dann übersetzt,
übertragen die Besonderheiten sich in alle anderen Versionen. jn |