JUNI
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Sprachakrobatik:
Raymond Quenaus "Stilübungen"
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Ein junger Kerl mit einem lächerlichen Hut wirft
im Bus einem Mitfahrenden vor, ihn ständig anzurempeln. Als ein
Platz frei wird, stürzt er sich darauf. Zwei Stunden später
sieht ihn der Beobachter vor dem Bahnhof wieder, zusammen mit einem
Freund, der ihm rät, noch einen Knopf an seinen Überzieher
nähen zu lassen.
Das ist die Geschichte von Queneaus Stilübungen. Eine banale Geschichte ohne Sinn und Pointe. Aber das ist Absicht: Denn es geht hier um keine Geschichte. Es geht um Stil. In den 30er Jahren wohnte der französische Schriftsteller Raymond Queneau einem Bach-Konzert bei, in dem es um Variationen eines eher schmalen Themas ging. In Erinnerung dieses Konzertes verfaßte er 1942 bis 1946 seine Exercices de style. Dazu nahm er sich die kleine Anekdote von dem unfreundlichen Hut-Träger vor und schrieb sie insgesamt 99mal neu: metaphorisch, rückwärts, zögernd, subjektiv, zoologisch, schwülstig, vulgär, gespenstisch, ungeschickt, mengenmathematisch, medizinisch, in Anagrammen, Lautmalerein, Alexandrinern, Anglizismen... Bei 99 Varianten hörte er auf. Er hielt dies für eine befriedigende Anzahl, betonte aber, daß sich die Liste endlos weiterführen ließe. Manche Variationen lesen sich weniger leicht, wie zum Beispiel "Permutationen mit zunehmenden Buchstabengruppen", "Aphäresis" oder "Epenthesis": Sie spielen mehr mit Buchstaben als mit der Sprache an sich. Auf jeden Fall enthalten Queneaus Stilübungen die ganze faszinierende Bandbreite der Sprache, und man kann viel über Stilfiguren lernen. Vor allem aber sind sie höchst komisch, was sich exemplarisch an der Variante "Wortkomposition" zeigen läßt: "Ich autobusplattformte mit-mengenähnlicherweise in einem lutecio-meridionalen Zeitraum und nachbarlichte mit einem langhalslichen, rotznasigen Kordelumdenhutgetüm. Selbiges sagte zu einem Irgendanonym: 'Sie anrempelscheinen mich.' Dies ausgestoßen, freiplatzte es sich gierig. In einer späteren Raum-Zeitlichkeit sah ich es wieder, wie es mit einem X saint-lazarierte, der zu ihm sagte: 'Du solltest deinen Überzieher knopfvervollständigen.' Und er warumerklärte ihm die Sache." Wie es Ludwig Harig und Eugen Helmlé geschafft haben, diese Sprachakrobatik vom Französischen ins Deutsche zu übersetzen, bleibt schleierhaft. Die Übersetzung kann sich natürlich unmöglich eins zu eins an die Vorlage halten. So wurde etwa für "Paysan" (bäuerisch) auf "Bayrisch" zurückgegriffen. Dennoch sind die Stilübungen auch im Deutschen äußerst lesenswert und ein absolutes Muß für alle Freunde des Sprachwitzes. aw |