OKTOBER
2002

 
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SPRACHE


Italienisch für Zeitreisende

 

Die Urlaubs- und Feriensaison nähert sich dem Ende. Allerdings müssen jetzt die ganzen Ereignisse der Sommermonate noch Freunden, Kollegen und Verwandten berichtet werden. Also auch für mich der Anlaß, die lieben Ceryx-Leser an einem Reiseerlebnis der speziellen Art teilhaben zu lassen. Durch Zufall führte mich nämlich mein Urlaub nicht nur nach Rom, sondern sozusagen auch in die Vergangenheit. Diese Zeitreise verdanke ich dem kleinen italienischen Sprachführer, den ich kurz vor der Abfahrt noch schnell aus unserem Keller zu Tage befördert hatte. Dieser war doch noch etwas älter als gedacht und versetzte mich bei der Lektüre sprachlich und kulturgeschichtlich einige Jahrzehnte in die Vergangenheit.

Leider enthält das besagte "Italienische Konversations- und Taschenwörterbuch" von Guiseppe Brombin aus dem Otto Maier Verlag Ravensburg kein genaues Erscheinungsdatum, scheint aber aus der Zeit um die Jahrhundertwende bis zu den 20er Jahren zu stammen: Die Wertetabelle für das Geld z.B. rechnet noch in Heller um, und als Verkehrsmittel scheint durchaus noch die Droschke üblich zu sein. Ein paar Höhepunkte aus dem Taschenwörterbuch sollen einen kleinen Einblick in das Bild, das der Sprachführer mir lieferte, bieten.

Faszinierend an dem Ausflug in frühere Zeiten parallel zur wirklichen Reise nach Italien war der direkte Verglich zwischen heute und damals, sei es bei der Sprache, den alltäglichen Gepflogenheiten oder den speziellen Reisegewohnheiten. Kaufte ich also am Bahnhof am Automaten eine Getränkedose, so sah ich meinen imaginären Reisegefährten aus der damaligen Zeit vom Zug aus eine frische Limonade von einem der "Verkäufer an den Perrons" erwerben und dem Rat des Italienischführers folgen: "Man reiche das stets bereits gehaltene Kleingeld hinaus, und zieht sich bei Mehrforderung, ohne sich weiter zu kümmern zurück". Wahrscheinlich wäre ich - dem Vokabelteil des Sprachführers nach zu schließen - damals auch nicht einfach in einem Zugabteil, sondern im Damencoupée, im Fiaker oder auf dem Dampfschiff gefahren oder hätte gar eine Fußreise unternommen. Statt Travellerschecks hätte ich Reiseeffekten mit mir geführt und mein Gepäck hätte ich womöglich in einen Plaidriemen geschnürt. Die Email nach Hause hätte eher die Form einer Depesche angenommen und am Strand hätte ich ganz bestimmt keinen Bikini, eher ein Damen-Schwimm-Kleid getragen.

Einmal angekommen begab sich mein Reisebegleiter wohl zum nächsten Gasthof und verlangte mit Hilfe seines Sprachführers: "Bitte, geben Sie mir ein gutes Zimmer mit hübscher Aussicht", um sich sofort "frisches Wasser und einige Handtücher bringen" zu lassen (ein warmes Bad kostete offensichtlich extra). Natürlich nicht ohne zuvor zu mahnen "Sorgen Sie ja für trockene und reine Bettwäsche". Sollte etwas nicht nach seinen Wünschen sein, so konnte er durchaus direkt werden: "Wo bleibt das Essen so lange? Bitte sofort zu bringen".

Auch bei der Erledigung seiner Einkäufe achtete er auf Qualität, wenn er "elegante sehr leichte Reisehüte" oder etwas umständlich "eine zuverlässige Uhr, die weder vor- noch nachgeht" aussuchte und seine Preisvorstellungen deutlich zum Ausdruck brachte: "Ihre Preise sind viel zu hoch. In anderen Läden verkauft man nicht so teuer". Den netten Satz "Spezifizieren Sie mir meine Rechnung. Sie erscheint mir zu hoch" hätte man übrigens auch in unserer Zeit durchaus im einen oder anderen Restaurant noch anwenden können.

Selbstverständlich war auch mein Reisebegleiter an den Sehenswürdigkeiten und der Gegend interessiert und erkundigte sich deshalb, ob es "etwas Merkwürdiges im Schloss zu sehen" gäbe oder wollte wissen ob "der Weg nach X schattig oder heiß" ist. Außerdem war die Sicherheit für Touristen damals wie heute eine Frage: "Ist der Wald, den ich passieren muß, sicher?". Sogar bei dummer Vergesslichkeit half ihm das "Gesprächsbuch" aus der Patsche, indem es auch die Bitte "Ich habe mein Opernglas vergessen; haben Sie die Güte, mir einen Augenblick das Ihrige zu geben?" unter dem Stichpunkt "Unterhaltungen" nicht vergaß.

Ansonsten regten mich auch die zahlreichen verschnörkelten Wendungen zum Schmunzeln und zu der Frage an, wie ein heutiger Italiener wohl reagiert hätte, wenn ich ihn morgens mit einem fröhlichen "Ich habe die Ehre, guten Morgen zu wünschen" begrüßt hätte. Nur ein kleiner Auszug aus seitenlangen derartigen Aufzählungen sind die folgenden Formulierungen: "Wie beliebt?", "Auf Ehre!" "Was steht zu Diensten?", "Ich beschwöre Sie" und "Sie sind sehr gütig!". Sollten aber einmal alle Stricke reißen und einem der Kragen platzen, dann konnte man trotz aller Höflichkeitsfloskeln immer noch auf den als "derb" markierten Ausdruck "Scheren Sie sich zum Kuckuck" zurückgreifen.

Für wirklich alle Lebenssituationen war im Konversationswörterbuch also gesorgt. Dies ist wahrscheinlich auch das Interessante und mitunter Kuriose an meiner Zeitreise für Italienischlernende gewesen. Gerade ein Sprachführer spiegelt natürlich alltägliche Sprechsituationen und Verhaltensweisen, wie sie damals üblich waren, wider und liefert damit auch eine kleines geschichtliches Zeugnis vom Reisen in vergangener Zeit.

bk