MAI
2003

 
Rubriken
 
Service
 
Kontakt
Gästebuch
SPRACHE


Die Mühlenberg-Legende: Deutsch als Staatssprache der USA?

Es gibt eine weit verbreitete Legende, dass Deutsch beinahe die offizielle Landessprache der USA geworden wäre. Um 1790 wurde dabei angeblich im Parlament des Staates Pennsylvania darüber abgestimmt, ob Deutsch zur offiziellen Landessprache erklärt werden sollte. Der Sprecher des Parlaments, ein Deutsch-Amerikaner namens Frederick A. Mühlenberg, soll die entscheidende Stimme für das Englische abgegeben haben. In Wirklichkeit hat eine solche Abstimmung jedoch nie stattgefunden.

Eine andere Legende besagt, dass das Deutsche zwar nicht als Nationalsprache, wohl aber als offizielle Sprache neben dem Englischen im Staat Pennsylvania gewählt werden sollte - auch das ist keinesfalls bewiesen.

Ihren Ursprung hat die sogenannte Mühlenberg-Legende in einer anderen Begebenheit: Eine Gruppe deutscher Einwanderer aus Virginia legte am 9. Januar 1794 dem Kongress eine Petition vor, in der sie die Veröffentlichung einiger Gesetze in deutscher Übersetzung beantragte. Dies sollte mit Rücksicht auf die Einwanderer geschehen, die das Englische noch nicht beherrschten. Der Antrag wurde jedoch vom Hauptausschuss in Virginia mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. Angeblich hat der Sprecher des Hauses die entscheidende Stimme gegeben - eben jener Frederick Mühlenberg, der, bevor er nach Virginia kam, Sprecher in Pennsylvania gewesen war. Sein Argument für die Ablehnung war einfach: Je schneller die deutschen Einwanderer Amerikaner werden würden, um so besser.

Seit 1840 wurde die Mühlenberg-Legende von Autoren, Lehrern und der Presse immer wieder verbreitet. Der Grund dafür lag wohl in der Enttäuschung, dass es der deutschen Sprache nicht gelang, eine Alltagssprache zu bleiben - und das selbst in Pennsylvania, wo der Anteil der Deutsch-Amerikaner immerhin bei einem Drittel lag. Ausnahmen blieben lediglich kleine Mennoniten- und Amish-Gemeinden, die das Deutsche als Schutzschild gegen die Außenwelt konservierten. In den 1930er Jahren bekam der Mythos schließlich noch einmal neuen Aufwind, als die Nazis ihn zu Propagandazwecken aufnahmen.

Doch auch in Amerika wurde die Legende verbreitet, wenn auch mit genau dem gegensätzlichen Ziel. Bereits im 18. Jahrhundert wurden Deutschsprachige als Bedrohung für die sprachliche Einheit Amerikas wahrgenommen; anti-deutsche Gefühle hatten Konjunktur. Später kamen Bemühungen auf, das Englische als offizielle Sprache in Form eines English Language Amendment (ELA) in der Verfassung zu garantieren - denn tatsächlich hat das Englische als Staatsprache nie eine legale Verankerung gefunden. Unterstützer der ELA benutzten die Mühlenberg-Legende, um die Gefahr zu verdeutlichen, in der das Englische schwebt: Nur knapp sei man einer Übernahme durch die deutsche Sprache entgangen, und ist die Gefahr durch das Deutsche gebannt, so gehe heute die Bedrohung vom Spanischen und von den asiatischen Sprachen aus. In Wahrheit ist diese Angst unbegründet: Eine Umfrage im Jahr 1980 brachte das Ergebnis, das mehr als 97% der US-Bevölkerung Englisch sprechen.

Dass die Mühlenberg-Legende heute auch in Deutschland immer noch so weit verbreitet ist, mag wohl an der Faszination liegen, den Gedanken weiterzuspinnen, so absurd er auch scheint. Wenn die deutsche Sprache tatsächlich zu Amerikas Staatssprache geworden wäre, hätte sie einen ähnlichen globalen Einfluss errungen wie heute das Englische. Alle bekannten Persönlichkeiten der USA würden deutsch sprechen, viele würden deutsche Namen tragen. Popstars würden überwiegend auf deutsch singen, Schüler aus aller Welt würden Deutsch als erste Fremdsprache lernen, und im Internet würde die deutsche Sprache dominieren. Denkbar ist allerdings auch, dass das Deutsche mit dem Englischen konkurriert hätte - denn man darf einerseits die anderen englischen Kolonien nicht vergessen und muss andererseits zugeben, dass die englische Sprache von ihren Strukturen weit leichter zu erlernen ist. Deutsch, Englisch und Französisch hätten sich vielleicht nebeneinander etabliert, weil keine der drei Sprachen den Einfluss errungen hätte, den das Englische heute hat. Und wer weiß, vielleicht würden wir heute in einer polyglotten Welt leben, anstatt unaufhaltsam dem englischen Sprachmonopol entgegenzuschreiten.

aw