MAI
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Eine Sprache
für Europa dank Karl V.
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Tizian,
"Karl V. mit Hund", 1533 (Ausschnitt) |
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Europa wächst zusammen. Europa bekommt eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Wirtschaft und eine gemeinsame Politik. Was fehlt, ist die gemeinsame Sprache. Ohne gemeinsame Sprache keine Kommunikation, kein Zusammenhalt, keine europäische Identität. Wie kann man dem babylonischen Sprachengewirr entfliehen? Der Gedanke, die Völker gleichberechtigt über eine Kunstsprache zu einen, ist zwar schön, aber völlig utopisch: Esperanto wird niemand lernen. Englisch ist auf dem Vormarsch, aber mal ehrlich, wollen wir die europäische Kultur wirklich einebnen lassen von einer Sprache, die nur zwei Verbformen konjugiert? "I do, you do, we do, you do, they do", na toll. Außerdem würde eine Einheitssprache, egal ob Esperanto oder Englisch, den Verlust unserer schönen europäischen Sprachen und damit Kulturen bedeuten. Eine zweite Version der Vereinigten Staaten, nein, das will nun wirklich keiner! Deshalb sollten wir lieber alle unsere Sprachen gleichzeitig verwenden. Aber nicht willkürlich, weil dann eh jeder die eigene Sprache spricht, sondern kontextbezogen: Für jede Gelegenheit die richtige Sprache. Damit Europa nicht in einem dritten Weltkrieg über die Frage endet, welche Sprache etwa die Sprache der Liebe sei, sollte man sich die weisen Worte Karls V. zum Gesetz nehmen. Denn der mehrsprachige Kaiser soll bemerkt haben, Französisch rede man zu den Gesandten (oder um zu schmeicheln), Italienisch zu den Frauen (und zu Freunden), Deutsch zu den Stallknechten (oder um zu drohen) und Spanisch zu Gott. Eine wunderbare, kluge Einteilung, der man natürlich noch die anderen europäischen Sprachen anschließen müßte. Zugegeben, die Stellung des Deutschen kommt dabei nicht gut weg, doch müssen nationale Egoismen zugunsten des europäischen Gedankens geopfert werden. Künftig muß man sich das dann so vorstellen: Zum Gesandten: "Cher Monsieur, je vous en supplie, voudriez-vous
présenter mes hommages à mademoiselle votre très
belle cousine?" Die Absichten des Gesprächspartners wären auf diese Weise schon an der Sprachwahl zu erkennen, was viel überflüssiges Geplänkel erspart. Vor allem aber würden sich die europäischen Völker endlich verstehen, ohne ihre eigenen Sprachen und Kulturen gänzlich aufzugeben. Wer sonst soll Europa einen, wenn nicht Karl V.? aw Nachtrag: In den ehemaligen Kolonien von Neuguinea bis in die Karibik funktioniert dieses Prinzip übrigens hervorragend. Unbestrittener Vorreiter in Sachen Vielsprachigkeit ist Manila, die Hauptstadt der Philippinen. Mühelos springt man je nach Situation zwischen den verschiedenen Kreol-Varianten, der Amtssprache Tagalog und den Kolonialsprachen hin und her. In der Familie spricht man ein bestimmtes Kreolisch, Fremden gegenüber ein anderes. Über nationale Politik redet man auf Tagalog, die Sprache der Wissenschaft ist Englisch, und geht es um die Liebe, spricht man ausschließlich Spanisch. Selbst in den Nachrichten wird je nach Thema die Sprache gewechselt. Dies bestätigt die Erkenntnis, daß das menschliche Gehirn nicht für die Einsprachigkeit gebaut ist. |