JANUAR
2005

 
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MUSIK



Ich will doch nur spielen: Annett Louisan, "Bohème"

Annett Louisan
"Bohème"
105 Music / Sony Music 2004

Siehe auch:
www.annett-louisan.de
(mit allen Liedern zum Reinhören)



Annett Louisan ist ein neuer Stern am deutschen Pop-Himmel. Aber halt - ist das Pop, was sie da macht? Leise Musik, eine leise Stimme, schlichte, schöne Melodien - das ist Chanson von seiner besten Art, ein wunderbares Kontrastprogramm zu lärmenden Popsongs und Heulbojen-Schnulzen.

Annett Louisan sieht unglaublich jung aus und stellt trotzdem Fotos in ihr Booklet, die sie als überschminkte Brigitte Bardot zeigen - Fotos, die wirken, als hätte ein kleines Mädchen zu tief in Mamas Schminktisch gegriffen. Man könnte sie als misslungenen Versuch deuten, das Prinzip "sex sells" einem eigentlich nach Natürlichkeit schreienden Mädchen wie Annett Louisan aufzudrücken. Vielleicht entspringt das Ganze aber nur der Bemühung, einen ganz bestimmten Widerspruch auch in ihr Auftreten zu legen, der sich zwar nicht in den albernen Fotos, dafür um so eindringlicher in ihren Liedern offenbart - der Widerspruch zwischen naivem kleinen Mädchen und Femme Fatale.

Diese Mischung ist höchst männerherzenbrechend. "Ich will doch nur spielen, ich tu doch nichts", singt Annett Louisan mit ihrer sanften Kleinmädchenstimme, "dass du fast verbrennst unter meiner Hand, wenn ich dich berühr', hab' ich nicht geahnt" (Das Spiel). Dieses unschuldig Männermordende zieht sich durch die ganze CD: "ich würd' ja damit aufhören, doch ich weiß nicht, wo ich damit anfangen soll" (Die Dinge), "los mach schnell, ich glaube heut' ist der Tag, an dem ich dich ein Leben lang ertrag' (...) morgen kannst du mich vielleicht nicht mehr domestizier'n" (Die Gelegenheit), "ganz egal wo du bist, wenn du mich vermisst, dann tu es heimlich ohne mich" (Die Trägheit). Wie gut passt da auch die Metapher der Katze: "nein, sie wird dir nie gehör'n, doch du streichelst sie so gern, das weiß sie ganz genau" (Die Katze). Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass sich Annett Louisan selbst auch mal verlieben kann (Die Lüge, Das Liebeslied) - aber der Eindruck überwiegt, dass sie zu jener Gruppe Menschen gehört, in die andere sich verlieben.

Eigentlich mögen wir Frauen solche Art Frauen ja nicht, die andere leiden lassen und nie selber zu leiden scheinen. Annett Louisan verzeiht man das irgendwie, wahrscheinlich weil sie so normal aussieht - also bitte keine Pseudo-Vamp-Fotos mehr. Stattdessen freut man sich, endlich etwas Neues zu hören, ein Mädchen, das ein Chauvi ist. Doch jetzt kommt der Haken: Die Texte stammen gar nicht von Annett Louisan selbst, sondern von einem Mann, Frank Ramond. Ist das Ganze also doch nur ein Kunstprodukt der findigen Plattenindustrie? Solange Annett Louisan die Texte so glaubhaft rüberbringen kann, wollen wir diese böse Unterstellung mal ad acta legen. Insgesamt macht das Zusammenspiel von Text und Stimme die Platte zu einem runden Gesamtkunstwerk, das mit seinen beschwingten Chanson-Melodien nicht zuletzt auch musikalisch zu überzeugen weiß.

aw