JULI
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2003
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Wackenroders
Reisebriefe
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Medaillonporträt Wackenroders von Christian Friedrich Tieck |
Reise-Spezial |
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Im Jahre 1792 legten Wilhelm Heinrich Wackenroder sowie sein Jugendfreund und Lebensgefährte Ludwig Tieck in Berlin das Abitur ab. Danach wurden sie zunächst für ein Jahr voneinander getrennt. Während Tieck bereits in Halle/Saale zu studieren begann, bekam Wackenroder auf Druck seines von aufklärerischen Vorstellungen geprägten Vaters noch Privatunterricht beim evangelischen Prediger und Literaturhistoriker Erdwin Julius Koch. Der Briefwechsel mit Tieck aus jener Zeit gehört zu den ausdrucksstarksten Zeugnissen empfindsamer Freundesliebe. Ab Ostern 1793 konnten sich beide endlich gemeinsam in Erlangen immatrikulieren. Der damals erst zwanzigjährige Wackenroder mußte trotz seiner musischen und künstlerischen Neigungen seinem Vater in der juristischen Disziplin folgen. So widmete er sich nicht nur dem ihm innerlich fremden Studium, sondern unternahm - häufig mit Tieck - mehrere kleine Reisen durch das Fränkische. Zu Pfingsten reiste er mit Tieck für mehr als eine Woche in die Fränkische Schweiz, nach Bayreuth, ins Fichtelgebirge sowie über Kulmbach und Streitberg zurück. Am 22. Juni wanderte er allein zu Fuß nach Nürnberg, wo er sich bei verschiedenen Persönlichkeiten aufhielt. Vom 13. bis 17. Juli unternahm er eine Reise nach Bamberg. Dazwischen hat noch ein Aufenthalt in Altdorf, der einstigen Nürnberger Universität, gelegen. Im August waren erneut Nürnberg, Bayreuth, Kulmbach und Bamberg seine Reisestationen, dazu das Schloß Weißenstein in Pommersfelden mit seiner bedeutenden Gemäldesammlung. Ein letztes Mal suchte er im Oktober noch Nürnberg auf, bevor er zusammen mit Tieck sein Studium zum Wintersemester 1793/94 in Göttingen fortsetzte. Mit den kleinen und größeren Ausflügen während seiner Erlanger Zeit folgte Wackenroder nicht nur jugendlicher Neugier und Entdeckerfreude. Nachdem es in vorangegangenen Jahrhunderten vor allem für junge Adlige und Kaufleute sowie Handwerker und Künstler üblich war, wurde es in bürgerlichen Kreisen des 18. Jahrhundert durchaus eine allgemeine Sitte, zur Erweiterung der Allgemeinbildung eine Weile umherzureisen. Dabei wurde der Sinn des Reisens allmählich tiefer und weiter gefaßt, als in der Epoche der Aufklärung, in der es lediglich das Wissen, die Vernunft und die Urteilsfähigkeit befördern sollte. So wurde auch die Natur in ihrer Schönheit entdeckt - ja, es wurde ihr teilweise sogar Offenbarungscharakter zugeschrieben. Über all seinen Fahrten schrieb Wackenroder ausführliche Briefe an seine Eltern. Angesichts dieser Adressaten ist sein recht nüchterner Stil - der sich so ganz von dem der Liebesbriefe während der Zeit der Trennung von Tieck unterschiedet - dann auch durchaus verständlich. In den Reisebriefen begegnet uns nichts von einer dichterischen, stimmungsvollen Färbung und Steigerung, wie sie doch eigentlich bei einem jugendlichen Romantiker mit literarischer Begabung zu erwarten wäre. Er berichtet einfach, sachlich und ohne irgendeinen Versuch, besonderen Eindruck zu machen, ohne schriftstellerischen Ehrgeiz. In den mit seiner zierlichen, engen Schrift bis ganz an den Rand vollgeschriebenen Briefbogen ist er ganz darauf aus, möglichst viel vom Erlebten festzuhalten. So musterte er ein Naturalienkabinett mit der gleichen Wißbegierde wie ein Schlachthaus, und stattete auch dem Bamberger Krankenhaus, das einen hohen Ruf hatte, einen Besuch ab. In der Werkstatt eines Medailleurs und Technikers sah er der Arbeit an der Drehbank aufmerksam zu. Er beschreibt geologische Verhältnisse, den Baumwuchs, die Landwirtschaft und den Bergbau, indem er auch mehrere in Schächte hinabstieg. Alles in allem ist es überraschend, wie vielseitig und dabei sachlich er sich in seinen Briefen gibt. Manchmal geht er sogar in nüchterne kurze Notizen über, in denen er Bücher aufzählt, die er für beachtenswert hielt. Es ist unwahrscheinlich, daß seine Eltern daran ein besonderes Interesse hatten - eher scheint er damit gerechnet zu haben, daß der die Angaben zuhause in irgend einer Weise noch gebrauchen könnte. Doch machten natürlich die einsamen, dunklen Nadelwälder des Fichtelgebirges, die er mit seinem Freund - teilweise sogar abseits der allgemeinen Wege - durchstreifte, die seltsamen Steingebilde der entlegenen Hochflächen zwischen Streitberg und dem Felsengarten Sanspareil sowie die Höhlen mit ihren phantasieanregenden Tropfsteinformungen in der Muggendorfer Gegend einen tiefen Eindruck auf ihm. Das sicherlich um so mehr, als daß er als Sohn der märkischen Erde dichte alte Fichtenwälder, Felsen und Tropfsteinhöhlen nicht kannte. Von den Städten, die er bereiste, nahm Nürnberg bei ihm den ersten Rang ein. Die Briefe über den Nürnberger Aufenthalt sind für die deutsche Romantik von grundlegender Bedeutung. Hier setzt jene Verehrung altdeutscher Kunst und Kultur ein, die zum Wesensteil der deutschen Romantik wurde. Die Eindrücke der Nürnberger Tage prägten nachhaltig die Gedankenkreise Wackenroders und Tiecks. Diese Ideen haben dann auch in den 1797 erschienen "Phantasien eines kunstliebenden Klosterbruders" und in Tiecks erstmals 1798 herausgegebenen Roman "Franz Sternbalds Wanderungen" Gestalt angenommen. In beiden Büchern werden die Mittelalterliche Herrlichkeit der Stadt Nürnberg (die im Grunde erst 1945 in Schutt und Asche fiel) und ihr großer Sohnes Albrecht Dürers mit beinahe kindlicher Verehrung bedacht. Ihnen ist somit auch die Wiederentdeckung dieses Malers zu verdanken. Interessant ist dann auf der anderen Seite aber die wohl immer gültige Beobachtung, daß auch ein junger Kunstfreund gerade der vorangegangenen Epoche gegenüber am unduldsamsten ist. So lassen Wackenroders Urteile über den Seehofer Schloßpark oder das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth uns heute eher schmunzeln. Denn gerade dieses künstlerisch hervorragendste Theaterbauwerk Deutschlands nennt er "altmodisch und geschmacklos". bä |