MÄRZ
2002

 
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LITERATUR


Victor Hugos "Der Glöckner von Notre-Dame"
Victor Hugo
"Der Glöckner von Notre-Dame"

In der Disney-Welt ist immer alles sehr einfach: Es gibt die Guten und die Bösen. Wer den Zeichentrickfilm „Der Glöckner von Notre-Dame“ gesehen hat, mag sich erinnern, daß sich da ein guter Glöckner, ein guter Hauptmann und ein böser Archidiakon um eine gute Zigeunerin streiten. Am Ende siegt natürlich das Gute. Die literarische Vorlage macht es einem da nicht so einfach, und genau deshalb sollte man sie lesen.

In Victor Hugos historischem Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ von 1831 geht es um Liebe, Schicksal und Leidenschaft im mittelalterlichen Paris. Quasimodo, der abgrundtief häßliche, taube, deformierte - aber bärenstarke - Glöckner, liebt „seine“ Kathedrale und Frollo, seinen Ziehvater. Den Rest der Menschheit haßt er, weil man nie nett zu ihm war. Der staubtrockene Archidiakon Frollo liebt die Wissenschaft, in die er sich bislang mit Erfolg vor drohenden fleischlichen Gelüsten geflüchtet hat.

Beider Schicksale ändern sich, als die bezaubernde, elfengleiche Zigeunerin Esmeralda ins Spiel kommt. Ergriffen von einer fatalen Leidenschaft, will Frollo sie mit Quasimodos Hilfe entführen. Doch Hauptmann Phœbus kommt Esmeralda zu Hilfe; Quasimodo wird festgenommen. Esmeralda macht sich aus dem Staub, nicht ohne sich vorher in ihren Retter zu verlieben.

Der Glöckner wird zur Strafe auf den Pranger gestellt und malträtiert. Ausgerechnet Esmeralda hat als einzige Mitleid mit ihm und gibt ihm zu trinken. Damit verliebt sich der scheußliche Quasimodo in die schöne Esmeralda.

Tja, und so geht es dann weiter: Quasimodo liebt Esmeralda um ihre Güte, der Archidiakon liebt sie um ihre Sinnlichkeit. Esmeralda aber liebt Phœbus um seine glänzende Uniform. Phœbus, hohl wie ein Eimer, liebt nur sich selbst. Dann gibt es da noch den Dichter Gringoire, den Esmeralda für sieben Jahre geehelicht hat, um ihn vor dem Galgen der Unterwelt zu retten: Gringoire liebt Esmeraldas schlaue Ziege Djali.

Als Esmeralda drauf und dran ist, Phœbus ihre Jungfräulichkeit zum Geschenk zu machen, ersticht der rasende Frollo den Hauptmann. Zwar überlebt Phœbus, aber Esmeralda wird natürlich trotzdem wegen Mordes und Hexerei verurteilt. Voll Haß auf Frollo will sie sich nicht mal von ihm vorm Galgen retten lassen. Wer sie dann rettet, ist Quasimodo: Er entführt sie in die Kathedrale, wo sie Asyl genießt. Frollo aber verzehrt sich vor Verlangen und bringt die Unterwelt dazu - der Esmeralda auch angehört - die Kathedrale zu stürmen, angeblich um das junge Mädchen vor dem Galgen zu retten. Quasimodo denkt fälschlicherweise, daß die Ganoven Esmeralda an den Kragen wollen, und bringt erst mal ganz viele um. Während der Glöckner die Kathedrale verteidigt, nimmt sich Frollo Esmeralda… Der Schluß wird natürlich nicht verraten.

Man sieht, ein Buch voller Aktion und Spannung. Hugo zeigt das Mittelalter als barbarische Zeit, in der Mitleid und Nächstenliebe Fremdwörter waren. Gleichzeitig ist der Roman aber eine Liebeserklärung an die Architektur des mittelalterlichen Paris, das er seinen Lesern in aller Genauigkeit beschreibt. Im Original lautet der Titel „Notre-Dame de Paris“, was deutlich macht, daß in Wahrheit nicht der Glöckner die Hauptrolle spielt, sondern die Kathedrale und mit ihr die mittelalterliche Architektur.

Victor Hugo, einer der bedeutendsten Romantiker Frankreichs, lebte von 1802 bis 1885.

aw