Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist eines der am kontroversesten diskutierten Themen in Berlin. Das historische Schloss war im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört worden und völlig ausgebrannt. 1950 wurde es von der DDR-Regierung gesprengt, die eine Rekonstruktion ablehnte. 1976 errichtete man auf dem Gelände den Palast der Republik als Sitz der Volkskammer. Nach der Wende musste das Gebäude aufgrund von Asbestverseuchung entkernt werden. Lange Zeit wurde darüber gestritten, was mit dem Areal geschehen sollte, bis man sich schließlich für den Abriss des DDR-Palastes und den Wiederaufbau des Barockschlosses entschied. Das geplante Gebäude soll unter dem Namen „Humboldt-Forum“ als Bibliothek der Humboldt-Universität und Ausstellungsort der Stiftung Preußischer Kulturbesitz genutzt werden.
Den vor einem Jahr ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewinnt am 28. November der Italiener Franco Stella. Die Jury aus Architekten und Politikern spricht sich einstimmig für Stellas Entwurf aus, der dem historischen Schloss so weit wie möglich treu bleibt, inklusive Barockfassade und Kuppel. Von der Presse wird Stellas Entwurf allerdings als langweilig kritisiert. Die Frage ist und bleibt, ob man es im 21. Jahrhundert noch verantworten kann, ein Barockschloss nachzubauen. Berlin ist nicht Disney-Land; Formen und Geschmäcker haben sich weiterentwickelt. An dem Beschluss von Bund und Land Berlin, sich beim Wiederaufbau am alten Aussehen des Stadtschlosses zu orientieren, ist aber nicht mehr zu rütteln. Die Vorgaben des Architekturwettbewerbs haben den Teilnehmern denn auch wenig Spielraum für eigene Ideen gelassen.
Ein Architekturbüro setzt sich trotzdem über diese Vorgaben hinweg, wohl wissend, dass sie damit ihre Gewinnchancen fast auf null setzen. Die jungen Architekten von Kuehn Malvezzi verzichten auf die historische Fassade und die Dachkuppel, wie sie in der Ausschreibung vorgesehen sind. An Stelle der Kuppel setzen sie dem Humboldt-Forum einen modernen Glasbau auf, die sich wie eine negative Kuppel nach innen wölbt und so einen ungewöhnlichen Eingangs- und Versammlungsraum schafft. Die Fassade ist in Schinkel-Manier aus Backstein gestaltet; auf sie sollen die noch erhaltenen Schlossteile und erst nach und nach auch neue Teile appliziert werden.
Der Entwurf gefällt der Jury so gut, dass sie einen mit 60.000 Euro dotierten Sonderpreis aus den Angeln heben, der so gar nicht geplant war. Trotz des großen Lobs, das Kuehn Malvezzi für ihren Entwurf bekommen, kann der Zuschlag aus juristischen Gründen nicht erteilt werden, zu groß sind die Abweichungen von den Vorgaben. Dabei zweifelt niemand daran, dass Kuehn Malvezzis Entwurf eigentlich der überzeugendere ist. So titelt die Berliner Morgenpost: „Die Stadtschloss-Jury hatte einen heimlichen Liebling.“ Beim Berliner Kurier lautet der Titel: „Das Schloss der Herzen und warum es nicht gewinnen durfte“, und auch der Stern bedauert: „Den besten Entwurf mochte aus Feigheit niemand aufs Podest heben.“ Der Tagesspiegel schreibt: „Hier war die Möglichkeit, der Moderne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – und trotzdem so etwas wie ein Schlossgefühl aufkommen zu lassen.“
Leider hat die Moderne verloren, und es wird wohl Stellas Entwurf sein, der bald im Herzen Berlins entstehen wird. Der Deutsche Bundestag muss die Empfehlung der Jury allerdings noch verbindlich beschließen. Die Entwürfe der teilnehmenden Architekten sind derweil im Kronprinzenpalais (Unter den Linden 3) täglich von 12 bis 20 Uhr zu besichtigen.
aw
Abb.: Historische Luftaufnahme des Berliner Stadtschlosses, um 1900.
|