JULI
2003

 
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Tausche Stadtmusikanten gegen Freiheitsstatue: Auswanderung im 19. Jahrhundert

 

Quellen:
Internetausstellung der Hansestadt Hamburg
Hamburger Staatsarchiv
Comenius-Projekt "Jugend und Medien"

Zwischen 1830 und 1913 verlassen über 6 Millionen Menschen Deutschland, zunächst vor allem über Bremen. Um 1900 avanciert jedoch Hamburg zum weltweit bedeutendsten Auswanderungshafen. Andere Auswanderungshäfen sind Le Havre, Antwerpen, Rotterdam, Genua und Liverpool. Der Großteil der Auswanderer wählt die USA als neue Heimat, meist den Mittleren Westen; Zielhäfen sind Cincinnati und New York. An zweiter Stelle rangiert Lateinamerika.

Gründe für die Auswanderung

Die Gründe für die Entscheidung, das Land zu verlassen, sind ökonomischer, sozialer und politischer Natur. Aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage, die Arbeitslosigkeit steigt. In den schnell wachsenden Städten mangelt es an Wohnungen, sanitären Einrichtungen und einer flächendeckenden Wasserversorgung. Die Jahre 1816/17 und 1845/46 sind von Hungersnöten gezeichnet, hinzu kommen Witterungskatastrophen und die napoleonischen Kriegswirren. Eine weiterer Auswanderungsgrund ist die drohende Einziehung zum Militärdienst.

Die Auswanderer

Die meisten Auswanderer sind Männer zwischen 15 und 40 Jahren, also im besten Arbeitsalter. Zunächst handelt es sich vor allem um Kleinbauern aus Süddeutschland, später auch um Landarbeiter aus Ostdeutschland. Nach der missglückten Revolution von 1848 finden sich viele Demokraten und Intellektuelle unter den Auswanderern, seit 1870 vermehrt kleine Gewerbetreibende und Handwerker. Die Überreise kostet etwa ein durchschnittliches Jahreseinkommen.

Ende des Jahrhunderts sinkt die Zahl der Auswanderer, da die Industrialisierung Arbeitsplätze schafft. Aufgrund der Pogrome in Osteuropa wandern hingegen immer mehr osteuropäische Juden aus, die bald den Hauptteil der Auswanderer ausmachen.

Einschiffung

Die Auswanderer müssen etwa zwei bis sechs Wochen auf ihre Einschiffung warten. Das Geschäft ist äußerst einträglich - für Reeder, Zimmervermieter, Proviantversorgungsunternehmen, Schifffahrtsagenturen, schließlich die Stadt, welche an den Steuern verdient. In speziellen Auswandererbaracken warten die Auswanderer bei katastrophalen hygienischen Zuständen auf ihre Einschiffung. Als 1892 die Cholera-Epidemie ausbricht, verhängt Hamburg ein Transitverbot für Osteuropäer, da russische Emigranten die Cholera eingeschleppt haben sollen. Unter dem Druck der HAPAG (Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktien-Gesellschaft) wird das Verbot jedoch wieder aufgehoben. An den deutschen Ostgrenzen werden Kontrollstationen mit ärztlicher Untersuchung und Desinfektion eingerichtet, ein Prozedere, das sich bei der Ankunft in Hamburg und beim Besteigen des Schiffes wiederholt.

Überfahrt

Zu Zeiten der Segelschiffe werden die Auswanderer ins enge und dunkle Zwischendeck gepfercht, das meist nur 1,80 m hoch ist. Die Decks sind überfüllt, der Proviant schlecht, die hygienischen Zustände schlecht. Die Fahrt in die USA dauert im Schnitt 43 Tage. Um die Jahrhundertmitte ist es deshalb nicht selten, dass bis zu 20% der Auswanderer während der Überfahrt sterben. Mit dem Erlass von Vorschriften zum Schutz der Auswanderer, vor allem aber mit der Durchsetzung der Dampfschifffahrt seit 1870 verbessert sich die Situation.

Die seit 1895 eingesetzten Ozeanriesen brauchen nur noch 8 bis 14 Tage. Auch hier sind die Auswanderer streng von wohlhabenden Reisenden getrennt. Beim Untergang der Titanic sterben von den Auswanderern der 3. Klasse 75%, während der Anteil bei den Passagieren der 1. Klasse "nur" bei 38% liegt. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Schiffe nur dank der Auswanderer rentabel fahren: Sie verbrauchen wenig Platz für relativ viel Geld.

Ankunft und Eingewöhnung

In Amerika angekommen, fährt die Ungleichbehandlung erst einmal fort: Während die Passagiere der 1. und 2. Klasse gleich das gelobte Land betreten dürfen, werden die Zwischendeckpassagiere zunächst auf Ellis Island kontrolliert und oft festgehalten. Wird eine ansteckende Krankheit festgestellt, werden sie zurückgeschickt.

Wenn die Auswanderer endlich amerikanisches Festland betreten, müssen sie sich am unteren Ende der sozialen Leiter anstellen, denn die meisten sind arm und mittellos. In Ghettos rotten sie sich mit ihren Kompatrioten zusammen, sprechen weiter ihre Muttersprache und führen die eigenen kulturellen Traditionen fort.

Rückkehr

Nicht alle schaffen es, sich in Amerika zu etablieren. Um 1900 kehrt etwa ein Drittel der Auswanderer in die Heimat zurück, unter ihnen viele Gescheiterte, die zum Beispiel die amerikanische Wirtschaftskrise von 1854 bis 1857 nicht überstanden haben. Manchmal ist auch ein Unglücksfall in der Familie schuld; andere schließlich hatten in der Ferne nur den schnellen wirtschaftlichen Erfolg gesucht, ohne auf Dauer bleiben zu wollen.

aw