OKTOBER
2002

 
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Un-Vergessene afrikanische Revolutionäre: Patrice Lumumba

Patrice Lumumba

„Lumumba hatte den Vorsatz, alle Ueberreste des alten Kolonialismus zu beseitigen und die Begehrlichkeiten des neuen abzuwehren; er wollte die Kongolesen für eine eigene Nation in einem demokratischen Rechtsstaat gewinnen. Die Absichten kamen den Plänen der Kolonialtrusts, der kirchlichen Missionsanstalten und der Kolonialbürokratie, die man vorsorglich implaniert hatte, empfindlich in die Quere.“

Ludo de Witte: De Moord op Lumumba

Patrice Lumumba wurde am zweiten Juli 1925 in Katako Kombe (Kasai Provinz) im nördlichen Kongo (Zaire) geboren. Sein Vater, ein einfacher Landwirt, wollte, daß Patrice Lehrer wird und deshalb schickte er seinen Sohn in eine römisch-katholische Missionsschule. Zu dieser Zeit war das die einzige Möglichkeit für Afrikaner, sich Wissen anzueignen. Im Alter von dreizehn Jahren wechselte Lumumba zu einer protestantischen Missionsschule und machte dort eine Ausbildung zum Arzthelfer. Zwei Jahre später verließ er auch diese Schule und versuchte durch unabhängige Studien seine Wissensbegierde zu stillen. Er las viele Bücher von Molière und Hugo und war fasziniert von den Werken Voltaires und Rousseaus. Lumumba arbeitete dann für kurze Zeit als Dienstbote bei der lokalen Administration. Zu dieser Zeit begannen seine politischen Aktivitäten. Er hielt Reden, schrieb Artikel und wollte die kongolesische Arbeiterschicht neu organisieren und vereinigen. Bald wurde er auch zum ersten Mal verhaftet. Am zehnten Oktober 1958 gründete Lumumba die Mouvement Nationale Congolaise (MNC). Eine belgische Brauerei setzte auf das rhetorische Geschick des etwa dreißigjährigen Lumumba und engagierte ihn für eine Werbekampagne. Er nutzte diese Gelegenheit um durch das Land zu reisen und Propaganda für eine ganz andere Sache zu betreiben - für die MNC. Diese Bewegung forderte die sofortige Unabhängigkeit des Kongo.

Nach den weit verbreiteten Unruhen und Streiks des Jahres 1959 überraschte die Kolonialmacht alle nationalistischen Führer damit, daß sie Wahlen für Mai 1960 ausrief. Die Belgier organisierten die Machtübergabe bewußt so, daß die „Unabhängigkeit“ bestenfalls eine formale Fiktion sein würde. Der Westen war nämlich gezwungen, das Land über seine Unabhängigkeit hinaus unter Kontrolle zu halten, denn die westlichen Investitionen in die Mineralressourcen des Kongo waren kolossal.

Anlässlich der Wahl formierten sich 120 verschieden Parteien; die meisten bildeten sich auf regionaler und ethnischer Grundlage. Die von Lumumba geführte Mouvement National Congolais war die einzige Partei, die für eine Zentralregierung und die Vereinigung des Kongo über ethnische und regionale Grenzen hinweg eintrat. Die MNC siegte bei den Wahlen und Patrice Lumumba wurde Premierminister der neuen Regierung. Am 30. Juni folgte dann die Unabhängigkeit des Kongo. Am Unabhängigkeitstag hielt Lumumba seine legendäre Rede vor den belgischen König und seinen Ministern. Er sprach über die Wirklichkeit der kolonialen Unterdrückung und charakteriserte sie als 80 Jahre „erniedrigende Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde“:

„Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt, mußten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. (...) Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger sind. (...) Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, daß das Recht mit dem Stärkeren ist. (...) Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“

Besonders im Kongo ist die Unterdrückung der afrikanischen Bevölkerung durch die Kolonialmacht besonders stark gwesen. Es gab keine afrikanischen Offiziere, im gesamten Staatsdienst gab es nur drei Afrikaner auf leitenden Positionen und es gab lediglich 30 Kongolesen mit akademischer Ausbildung.

Die Kongolesen sollten endlich von den Reichtümern des Landes profitieren, das war Lumumbas Traum, doch es kam alles ganz anders. Lumumba hatte wenig Erfahrung, kaum Geld, Armee und Verwaltung waren von Belgiern dominiert. Lumumbas aufrichtige und offene Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit, sozialer Gerechtigkeit, politischer Selbstbestimmung und seine Feindschaft gegenüber einer politischen Ordnung, die auf ethnischen Spaltungen basierte, besiegelten sein Schicksal. Innerhalb weniger Tage nach der Unabhängigkeit war die politische Situation im Kongo außer Kontrolle geraten. Schwarze Soldaten meuterten gegen belgische Offiziere. Die Provinz Katanga, die wichtigste Berbauregion, erklärte sich zum eigenständigen Staat unter Moise Tshombe, der unter dem Schutz der westlichen Bergbaukreise und des belgischen Militärs handelte. Belgien sandte seine Armee zurück in die ehemalige Kolonie, angeblich um belgische Staatsangehörige zu beschützen.

Am 14. September 1960 übernahm Mobuto Sese Seko, er war unter Lumumba Chef der Armee gewesen, in einem Staatsstreich die Macht. Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt. Ende November floh er, aber Mobutos Truppen konnten ihn festnehmen. Nach langer Folter wurde Patrice Lumumba von Polizisten unter der Aufsicht von belgischen Helfershelfer in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1961 mit zwei Gefährten - Mpolo und Okito - in Elisabethville erschossen. Der Leichnam von Lumumba wurde von Soldaten zerstückelt, verbrannt und in Säure aufgelöst. Die Amtszeit von Patrice Lumumba, dem einzigen demokratisch gewählten Führer Kongos, währte nicht lange: 67 Tage. Genau sieben Monate nach der Unabhängigkeit wurde er bestialisch ermordet. Seine brutale Ermordung machte Lumumba zum Märtyrer der Aggression des westlichen Imperialismus in Afrika.

Der Mord an einem der leidenschaftlichsten Kritiker der kolonialen Unterdrückung Afrikas hängt Regierungen in Europa und Amerika bie heute an. In Belgien wurde von der Regierung eine Kommission einberufen, um die Beteiligung Belgiens an dem Mord zu klären. Diese Kommission kam zu dem Schluß, daß Belgien - vor allem der damalige König Baudoin und der Afrikaminister Aspremont Lynden - ganz tief in den Mord verwickelt war. Aber es tauchten auch Berichte auf, die beweisen, daß auch die USA an der Ermordung beteiligt waren. Nach Aussagen von CIA-Agenten hatte Amerika schon vor der Unabhängigkeit des Kongos versucht, Patrice Lumumba zu töten. Vor allem Lumumbas Drohung, die Sowjetunion um Hilfe zu bitten, hatte die Amerikaner verstimmt, aber die USA hatten auch wirtschaftliche Interessen in der Gegend. Sie wollten diese nicht gefährdet sehen und deshalb mußten sie handeln. Wieder einmal wurde von der US-Regierung Demokratie aktiv verhindert, um an Ressourcen anderer Länder zu kommen.

„Nachdem er tot ist, hört Lumumba auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika.“ (Jean-Paul Sartre)

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